Die Schopenhauer-Kur
bestätigen ja nur meine Meinung: dass Sie womöglich nicht zum Therapeuten geeignet sind. Ihre Sichtweise lässt keinen Platz für Freundschaften.«
»Jedes Mal, wenn ich auf jemanden zugehe, bin ich hinterher weniger ich selbst. Ich habe, seit ich erwachsen bin, keine Freundschaften mehr geschlossen und will auch keine schließen. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich ein Einzelkind mit einer gleichgültigen Mutter und einem unglücklichen Vater war, der sich irgendwann das Leben nahm. Offen gesagt habe ich nie jemanden getroffen, der mir etwas von Interesse zu bieten hatte. Und das liegt nicht daran, dass ich nicht danach Ausschau gehalten hätte. Immer wenn ich versucht habe, mich mit jemandem anzufreunden, habe ich dieselbe Erfahrung gemacht wie Schopenhauer, der sagte, er habe nur jämmerliche Teufel gefunden, Männer mit beschränkter Intelligenz, bösartig und von niedriger Gesinnung. Ich spreche von lebenden Personen – nicht von den großen Denkern der Vergangenheit.«
»Sie haben mich kennen gelernt, Philip.«
»Das war eine professionelle Beziehung. Ich meine soziale Kontakte.«
»Diese Einstellung merkt man Ihrem Verhalten an. Wie können Sie mit Ihrer Verachtung für andere und der fehlenden sozialen Kompetenz, die sich daraus ableitet, als Therapeut agieren?«
»In dem Punkt stimmen wir überein – ich weiß, dass ich mehr soziale Kompetenz entwickeln muss. Ein wenig Freundlichkeit und Wärme, sagt Schopenhauer, macht es möglich, Menschen zu manipulieren, ebenso wie wir Wachs erwärmen müssen, wenn wir es bearbeiten wollen.«
Julius erhob sich kopfschüttelnd. Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und lief auf und ab. »Wachsbearbeitung ist nicht nur eine schlechte Metapher – sie ist so ungefähr die verdammt schlechteste Metapher für Therapie, der ich je begegnet bin – genau genommen, ist sie die schlechteste. Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund. Ebenso wenig machen Sie mir damit Ihren Freund und Therapeuten Arthur Schopenhauer sympathisch.«
Julius setzte sich wieder hin, trank von seinem Kaffee und sagte: »Ich wiederhole mein Kaffee-Angebot nicht, weil ich annehme, dass Sie nichts interessiert außer der Antwort auf Ihre eigentümliche Bitte um Supervision. Sie scheinen sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, Philip, deshalb werde ich gnädig sein und die Sache abkürzen. Hier also meine Entscheidung hinsichtlich der Supervision.«
Philip, der den Blick das ganze Gespräch über abgewandt hatte, schaute Julius zum ersten Mal offen an.
»Sie besitzen einen scharfen Verstand, Philip. Sie wissen sehr viel. Vielleicht finden Sie eine Möglichkeit, Ihr Wissen im Dienste der Therapie einzusetzen. Vielleicht bringen Sie sich irgendwann einmal richtig ein. Hoffentlich. Aber Sie sind noch nicht reif dafür, Therapeut zu sein. Und noch nicht reif für eine Supervision. Ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten, ihre Sensibilität und Ihre Wahrnehmung müssen geschult werden – und zwar erheblich. Aber ich will Ihnen helfen. Ich habe einmal versagt, und jetzt habe ich eine zweite Chance. Können Sie mich als Ihren Verbündeten sehen, Philip?«
»Lassen Sie mich die Frage beantworten, nachdem ich Ihren Vorschlag gehört habe, der vermutlich gleich folgt.«
»Mein Gott! In Ordnung, hier ist er. Ich, Julius Hertzfeld,
willige ein, Philip Slates Supervisor zu sein, falls und nur falls er vorher sechs Monate als Patient in meiner Psychotherapiegruppe zubringt.«
Diesmal war Philip verblüfft. Damit hatte er nicht gerechnet. »Das meinen Sie nicht ernst.«
»Und wie.«
»Ich erzähle Ihnen, dass ich nach so vielen Jahren in der Gosse endlich mein Leben auf die Reihe gekriegt habe. Ich erzähle Ihnen, dass ich meinen Lebensunterhalt als Therapeut verdienen möchte und dazu einen Supervisor brauche – das ist das Einzige, was mir fehlt. Und Sie bieten mir etwas an, das ich nicht will und mir nicht leisten kann.«
»Ich wiederhole, Sie sind nicht reif für eine Supervision, nicht reif dafür, Therapeut zu sein, doch ich glaube, in einer Gruppentherapie könnten Ihre Defizite angegangen werden. Das sind meine Bedingungen. Zunächst eine Gruppentherapie, dann und nur dann werde ich Sie supervisieren.«
»Ihr Honorar?«
»Ist nicht hoch. Siebzig Dollar für eine Neunzig-Minuten-Sitzung. Und die werden übrigens auch in Rechnung gestellt, wenn Sie ein Treffen versäumen.«
»Wie viele Patienten sind in der Gruppe?«
»Ich versuche, nicht mehr als sieben zu nehmen.«
»Sieben
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