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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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betrachten ein solches Exil wohl als katastrophales Ereignis? Und doch schilderte Arthur diese beiden Jahre später in seinem Leben als »den weitaus frohesten Theil meiner Kindheit«. Ref 15
    In Le Havre geschah etwas Wichtiges: Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Arthur sich umhegt und genoss das Dasein. Noch Jahre danach hielt er das Andenken an die geselligen Blésimaires hoch, bei denen er so etwas wie elterliche Liebe fand. Seine Briefe an die Eltern waren so voller Lob für
sie, dass seine Mutter sich genötigt sah, ihn an die Tugenden seines Vaters zu erinnern. »Dein Vater erlaubt Dir die elfenbeinerne Flöte für einen Louis d’or zu kauffen . . .« Ref 16
    Während seines Aufenthalts in Le Havre ereignete sich noch etwas Bedeutsames: Arthur fand einen Freund – einen der ganz wenigen in seinem gesamten Leben. Anthime, der Sohn der Blésimaires, war in Arthurs Alter. Sie freundeten sich in Le Havre an und wechselten nach Arthurs Rückkehr nach Hamburg einige Briefe.
    Jahre später trafen sie sich als junge Männer von zwanzig wieder und gingen auf der Suche nach amourösen Abenteuern gelegentlich zusammen aus. Dann trennten sich ihre Wege und Interessen. Anthime wurde Geschäftsmann und verschwand aus Arthurs Leben; erst dreißig Jahre später kam es zu einer kurzen Korrespondenz, weil Arthur finanziellen Rat suchte. Als Anthime ihm als Antwort anbot, gegen ein Honorar sein Portefeuille für ihn zu verwalten, beendete Arthur den Briefwechsel abrupt. Inzwischen verdächtigte er jeden und traute niemandem. Er legte Anthimes Schreiben beiseite, nachdem er auf die Rückseite des Umschlags einen zynischen Aphorismus von Gracián (einem von seinem Vater sehr bewunderten spanischen Philosophen) notiert hatte: »Übernimm die Geschäfte eines anderen, wenn du selbst eins machen willst.«
    Zehn Jahre darauf begegneten sie sich zum letzten Mal – ein peinliches Treffen, bei dem sie sich wenig zu sagen hatten. Arthur schilderte seinen ehemaligen Freund als unerträglichen alten Mann und schrieb in sein Tagebuch: »Wenn zwei Jugendfreunde nach der Trennung eines ganzen Menschenalters sich als Greise wieder sehn, so ist das vorherrschende Gefühl (. . .) das des gänzlichen disappointment über das ganze Leben . . . « Ref 17
    Noch ein Vorfall kennzeichnete Arthurs Aufenthalt in Le Havre: Er wurde mit dem Tod bekannt gemacht. Gottfried Jenisch, ein Hamburger Spielgefährte aus Kindertagen, starb, während Arthur in Le Havre lebte. Obwohl Arthur zurückhaltend reagierte und meinte, er habe gar nicht mehr an Gottfried
gedacht, ist klar ersichtlich, dass er seinen toten Spielgefährten in Wahrheit nie vergaß, ebenso wenig wie den Schock über seine erste Bekanntschaft mit der Sterblichkeit, denn dreißig Jahre später schilderte er in seinem Tagebuch einen Traum: »Aber in besagter Nacht kam ich in ein mir unbekanntes Land, eine Gruppe Männer stand auf dem Felde und unter ihnen ein erwachsener schlanker, langer Mann, der mir, ich weiß nicht wie, als eben jener Gottfried Jenisch bekannt gemacht worden war, der willkommnete mich.« Ref 18
    Es fiel Arthur nicht schwer, diesen Traum zu interpretieren. Er lebte zu der Zeit in Berlin inmitten einer Cholera-Epidemie. Der Traum von einer Wiedervereinigung mit Gottfried konnte nur eins bedeuten: eine Warnung vor dem nahen Tod. Folglich entschloss sich Arthur zur Flucht und verließ Berlin umgehend. Er zog nach Frankfurt, wo er die letzten dreißig Jahre seines Lebens verbringen sollte, größtenteils deshalb, weil er die Stadt für gegen die Cholera gefeit hielt.

»Die Gegenwart zu genießen und dies zum Zwecke seines
Lebens zu machen (sei) die größte Weisheit; weil ja jene
allein real, alles andere nur Gedankenspiel wäre. Aber
ebenso gut könnte man es die größte Torheit nennen: denn
was im nächsten Augenblicke nicht mehr ist, was so
gänzlich verschwindet wie ein Traum, ist nimmermehr eines
ernstlichen Strebens wert.« Ref 19
11
Philips erstes Gruppentreffen
    Als Philip eine Viertelstunde zu früh zu seiner ersten Gruppentherapie eintraf, trug er dasselbe wie bei seinen letzten beiden Begegnungen mit Julius: ein zerknittertes, verblichenes Karohemd, Khakihosen und Kordjackett. Julius, den Philips unbeirrbare Gleichgültigkeit gegenüber Kleidung, Büroeinrichtung, seinem studentischen Publikum und anscheinend jedem, mit dem er interagierte, verwunderte, begann erneut, seinen Entschluss, Philip in die Gruppe einzuladen, zu hinterfragen. Handelte es

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