Die Schopenhauer-Kur
eine Männer . . . äh . . . was ist das richtige Wort? . . . Sie machen ihn an. Meinten Sie das, Bonnie?«
Bonnie nickte.
Rebecca suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und tupfte sich die Augen ab, wobei sie sorgfältig auf ihre Wimperntusche achtgab. »Das ist wirklich eine beschissene Beleidigung.«
»Genau das wollte ich nicht«, sagte Bonnie flehend. »Es geht nicht um Sie, Rebecca – das habe ich ja schon gesagt. Sie tun nichts Falsches.«
»Das kaufe ich Ihnen nicht ab – erst machen Sie en passant eine hässliche Bemerkung über mein Verhalten, und dann behaupten Sie, es ginge nicht um mich; dadurch wird sie aber nicht weniger hässlich.«
»En passant?«, fragte Tony.
»En passant«, warf Philip ein, »bedeutet im Vorübergehen – ein im Schach üblicher Begriff, wenn ein Bauer im Eröffnungszug zwei Felder nimmt und dabei an einem gegnerischen Bauern vorbeizieht.«
»Philip, Sie sind ein Angeber – wissen Sie das?«, sagte Tony.
»Sie haben eine Frage gestellt, ich habe Sie beantwortet«, erwiderte Philip, völlig ungerührt von Tonys Attacke. »Es sei denn, Ihre Frage war keine Frage.«
»Autsch, da haben Sie mich erwischt.« Tony musterte den Rest der Gruppe und sagte: »Ich werde wohl immer blöder. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr so richtig dazugehöre.
Bilde ich mir das ein, oder wird hier zunehmend mit großen Worten rumgeschmissen? Vielleicht beeinflusst Philips Anwesenheit auch andere – nicht nur Rebecca.«
Julius intervenierte, indem er die gebräuchlichste und effektivste Taktik des Gruppentherapeuten benutzte – er lenkte die Aufmerksamkeit vom Inhalt auf den Prozess, das heißt, weg von dem, was gesagt wurde, zum Wesen der Beziehung zwischen den interagierenden Parteien. »Es ist eine Menge los heute. Vielleicht treten wir mal einen Schritt zurück und versuchen zu verstehen, was hier eigentlich passiert. Zunächst einmal will ich eine Frage an Sie alle richten: Was geht Ihrer Ansicht nach in der Beziehung zwischen Bonnie und Rebecca vor?«
»Das ist eine heikle Sache«, sagte Stuart, der immer als Erster die von Julius an die Runde gestellten Fragen beantwortete. In professionell ärztlichem Tonfall fuhr er fort: »Ich weiß wirklich nicht, ob es Bonnie um eine Sache geht oder um zwei.«
»Und das heißt?«, wollte Bonnie wissen.
»Das heißt, was ist Ihr Anliegen? Wollen Sie über Männer und Ihre Konkurrenz zu Frauen sprechen? Oder wollen Sie Rebecca eins auswischen?«
»Ich kann beide Standpunkte verstehen«, sagte Gill.«Ich verstehe, dass das Ganze hier bei Bonnie alte böse Erinnerungen weckt. Und ich verstehe auch, dass Rebecca sich aufregt – ich meine, vielleicht war ihr gar nicht bewusst, dass sie mit ihren Haaren rumspielt –, und ich persönlich halte das auch für kein großes Problem.«
»Sie sind taktvoll, Gill«, sagte Stuart. »Wie üblich versuchen Sie, alle Parteien zu besänftigen, besonders die Damen. Aber wissen Sie, wenn Sie sich so sehr auf den weiblichen Standpunkt einlassen, werden Sie niemals mit Ihrer eigenen Stimme sprechen. Das hat Philip Ihnen schon letzte Woche gesagt.«
»Ich ärgere mich über solche sexistischen Bemerkungen, Stuart«, meinte Rebecca. »Offen gesagt, als Arzt sollten Sie es besser wissen. Dieses Gerede über den ›weiblichen Standpunkt‹ ist lächerlich.«
Bonnie hob ihre Hände. »Ich möchte eine Pause beantragen – ich kann einfach nicht mehr weiter. Das hier mag ja alles wichtig sein, aber es ist unwirklich; ich kann damit nicht weitermachen. Wie können wir so tun, als wäre alles beim Alten, obwohl Julius uns erst letzte Woche mitgeteilt hat, dass er bald sterben wird? Es ist meine Schuld: Ich hätte die Sache zwischen mir und Rebecca heute nie zur Sprache bringen dürfen – sie ist zu trivial. Alles ist trivial im Vergleich dazu.«
Schweigen. Alle schauten zu Boden. Bonnie brach das Schweigen.
»Ich möchte noch mal von vorn anfangen. Ich hätte das Treffen heute mit der Beschreibung eines Traums einleiten sollen, eines Albtraums, den ich nach unserer letzten Zusammenkunft hatte. Ich glaube, es geht darin um Sie, Julius.«
»Schießen Sie los«, drängte Julius.
»Es war nachts. Ich befand mich in einem dunklen Bahnhof –«
»Versuchen Sie, im Präsens zu erzählen«, unterbrach Julius sie.
»Okay, das sollte ich mittlerweile wissen. Also - es ist Nacht. Ich bin in einem dunklen Bahnhof. Ich versuche, auf einen Zug aufzuspringen, der gerade beginnt, sich zu bewegen.
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