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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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unverbrauchten Worten etwas über Reizlosigkeit und Schönheit. Sprechen Sie über sich und Rebecca und Pam.«
    Bonnie öffnete, nach wie vor nickend, langsam die Augen und fing an. »Ich bin sicher, dass Sie sich alle an mich erinnern. Ich war die kleine Dicke in Ihrer Grundschulklasse. Sehr pummelig, sehr tolpatschig, zu krause Haare. Diejenige, die im Turnen
jämmerlich versagte, die wenigsten Karten zum Valentinstag kriegte, ständig heulte, nie eine beste Freundin hatte, immer allein von der Schule nach Hause ging, nie zum Schülerball eingeladen wurde, so verängstigt war, dass sie im Unterricht nie die Hand hob, obwohl sie blitzgescheit war und auf alles die richtige Antwort wusste. Und Rebecca, die war mein Isomer –«
    »Ihr was?«, fragte Tony. Er hing fast waagerecht in seinem Sitz.
    »Ein Isomer ist so was wie ein Spiegelbild«, erwiderte Bonnie.
    »Zwei Isomere bezeichnen chemische Verbindungen«, verkündete Philip,«die identische Bestandteile in denselben Proportionen haben, sich aber wegen der Anordnung ihrer Atome in ihren Eigenschaften unterscheiden.«
    »Danke, Philip«, sagte Bonnie. »Es war vielleicht ein zu hochtrabendes Wort, das ich da benutzt habe. Aber Tony, ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich es bewundere, dass Sie an Ihrem Entschluss festhalten, sich jedes Mal zu melden, wenn Sie etwas nicht verstehen. Dieses Treffen vor ein paar Monaten, bei dem Sie Ihre Scham über Ihre mangelhafte Ausbildung und Ihren Handwerkerberuf offenbarten, hat es mir eigentlich erst ermöglicht, über meinen eigenen Kram zu reden. Okay, zurück zu meinen Schuljahren. Rebecca war das absolute Gegenteil von mir, in jeder Hinsicht, die Ihnen einfällt. Ich wäre dafür gestorben, eine Rebecca zur Freundin zu haben – ich hätte dafür gemordet, eine Rebecca zu sein. So sieht es in mir aus. In den letzten Wochen werde ich überflutet von Erinnerungen an meine Albtraumkindheit.«
    »Es ist lange her, dass die kleine Dicke zur Schule ging«, sagte Julius. »Was bringt sie gerade jetzt zurück?«
    »Na ja, das ist der schwierige Teil. Ich möchte nicht, dass Rebecca wütend auf mich wird . . .«
    »Es ist am besten, sie direkt anzusprechen, Bonnie«, unterbrach Julius.

    »Okay«, sagte Bonnie und wandte sich Rebecca zu. »Ich möchte Ihnen etwas sagen, aber ich will nicht, dass Sie wütend auf mich werden.«
    »Ich bin ganz Ohr«, sagte Rebecca, ihre Aufmerksamkeit voll auf Bonnie richtend.
    »Wenn ich sehe, wie Sie mit den Männern hier in der Gruppe umgehen – wie Sie sie für sich einnehmen, wie Sie sie becircen  –, fühle ich mich total hilflos. All die alten Minderwertigkeitsgefühle kommen wieder hoch: pummelig, unbedeutend, unbeliebt, Mauerblümchen.«
    »Nietzsche«, warf Philip ein, »sagte einmal sinngemäß, dass, wenn wir mitten in der Nacht entmutigt aufwachen, Feinde, die wir vor langer Zeit besiegt haben, zurückkehren, um uns zu verfolgen.«
    Bonnies Miene verzog sich zu einem breiten Lächeln, als sie sich Philip zuwandte. »Das ist ein Geschenk, Philip, ein ganz liebes Geschenk. Ich weiß nicht, warum, aber bei der Vorstellung von einst besiegten Feinden, die wieder auferstehen, geht es mir gleich besser. Schon dass etwas benannt wird, macht es –«
    »Warten Sie, Bonnie«, unterbrach Rebecca, »ich würde gern darauf zurückkommen, dass ich hier Männer becirce – erklären Sie das bitte.«
    Bonnies Pupillen weiteten sich; sie wich Rebeccas Blick aus. »Es geht nicht um Sie. Nichts an dem, was Sie tun, ist falsch – es liegt nur an mir, es ist meine Reaktion auf völlig normales weibliches Verhalten.«
    »Welches Verhalten? Wovon reden Sie?«
    Bonnie holte tief Luft und sagte: »Davon, wie Sie sich aufplustern. Sie plustern sich auf. So kommt es mir jedenfalls vor. Ich weiß nicht, wie oft Sie in der letzten Sitzung Ihre Haarklemmen herausgezogen, Ihr Haar heruntergelassen, Ihr Haar aufgebauscht haben, mit den Fingern durchgefahren sind, aber es war öfter als je zuvor, soweit ich mich entsinne. Es muss etwas mit Philips Eintritt in die Gruppe zu tun haben.«

    »Wovon reden Sie?«, fragte Rebecca.
    »Um den alten Weisen zu zitieren, den heiligen Julius: Eine Frage ist keine Frage, wenn man die Antwort kennt«, warf Tony ein.
    »Warum lassen Sie Bonnie nicht für sich selbst sprechen, Tony?«, sagte Rebecca mit eisigem Blick.
    Tony ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Es ist offensichtlich. Philip kommt neu in die Gruppe, und Sie verändern sich – Sie verwandeln sich in

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