Die Schopenhauer-Kur
Lebensziel ist, so wenig wie möglich zu wollen und so viel wie möglich zu wissen. Liebe, Leidenschaft, Verführung – das sind starke Gefühle,
Teil unserer Programmierung, um unsere Spezies zu erhalten, die, wie Rebecca gerade gezeigt hat, auch unbewusst wirksam sein können. Aber alles in allem dienen sie dazu, die Vernunft entgleisen zu lassen und meine wissenschaftlichen Bestrebungen zu beeinträchtigen, deshalb möchte ich nichts mit ihnen zu tun haben.«
»Jedes Mal, wenn ich Sie etwas frage, geben Sie mir eine Antwort, der man nicht widersprechen kann. Aber nie beantworten Sie meine Frage«, sagte Tony.
»Ich finde, er hat sie beantwortet«, sagte Rebecca. »Er hat klar gemacht, dass er sich nicht emotional engagieren will, dass er ungebunden sein und einen klaren Kopf behalten möchte. Ich glaube, Julius hat ebenso argumentiert – deshalb gibt es auch ein Tabu bezüglich Romanzen in der Gruppe.«
»Was für ein Tabu?« Tony wandte sich an Julius. »Ich habe nie gehört, dass eine solche Regel ausgesprochen wurde.«
»Ich habe sie auch nie so formuliert. Die einzige grundsätzliche Regel, die Sie von mir über Beziehungen außerhalb unserer Zusammenkünfte gehört haben, ist die, dass es keine Geheimnisse geben darf und dass die Gruppenmitglieder, falls es zu wie auch immer gearteten Begegnungen außerhalb der Sitzungen kommt, diese in die Gruppe einbringen müssen. Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie Geheimnisse haben, blockiert das fast immer die Arbeit der Gruppe und sabotiert Ihre eigene Therapie. Das ist meine einzige Regel, was Begegnungen außerhalb unserer Treffen angeht. Aber Rebecca, verlieren wir nicht den Faden in der Beziehung zwischen Ihnen und Bonnie. Wie sind Ihre Gefühle zu ihr?«
»Sie hat ziemlich schweres Geschütz aufgefahren. Ob es stimmt, dass ich mit Frauen nichts anfangen kann? Ich würde sagen, nein. Es gibt meine Schwester – zu der habe ich ein recht enges Verhältnis – und ein paar andere Anwältinnen in meiner Kanzlei, aber, Bonnie, Sie haben schon einen kritischen Punkt berührt – die Herausforderung, die Spannung ist für mich im Umgang mit Männern entschieden größer.«
»Ich denke ans College«, sagte Bonnie, »als ich nicht viele Verabredungen hatte; wie abgewiesen ich mich da fühlte, wenn sich eine Freundin nichts dabei dachte, mir in letzter Minute abzusagen, wenn irgendein Typ sie einlud.«
»Ja, das hätte ich vermutlich auch getan«, sagte Rebecca. »Sie haben Recht – Männer und Verabredungen, das war alles, worum es ging. Damals schien das selbstverständlich zu sein, heute nicht mehr.«
Tony hatte fortgesetzt Philip gemustert und sprach ihn jetzt erneut an. »Wissen Sie, Philip, irgendwie sind Sie wie Rebecca. Sie plustern sich auch auf, aber Sie tun es mit flotten, tiefgründig klingenden Slogans.«
»Ich glaube, Sie wollen darauf hinaus«, sagte Philip, die Augen geschlossen, zutiefst konzentriert, »dass mein Motiv, wenn ich Beobachtungen äußere, nicht das ist, was es zu sein vorgibt, sondern reiner Egoismus, eine Form des Aufplusterns, mit dem ich, wenn ich Sie recht verstehe, versuche, das Interesse und die Bewunderung von Rebecca und anderen zu wecken. Ist das korrekt?«
Julius war nervös. Was er auch unternahm, die Aufmerksamkeit richtete sich immer wieder auf Philip. Mindestens drei widerstreitende Wünsche beschäftigten ihn: erstens der, Philip vor allzu viel Konfrontation zu schützen, zweitens der, zu verhindern, dass Philips unpersönliche Art die Vertraulichkeit des Gesprächs unterminierte, und drittens der, Tony bei seinen Bemühungen zu unterstützen, Philip eins auszuwischen. Trotzdem beschloss er, sich fürs Erste zurückzuhalten, weil die Gruppe die Situation im Griff hatte. Eben war sogar etwas Bedeutsames passiert: Philip hatte zum ersten Mal direkt, ja persönlich auf jemanden reagiert.
Tony nickte. »Das habe ich in etwa gemeint, nur dass es vielleicht mehr ist als Interesse oder Bewunderung. Wie wär’s mit Verführung?«
»Ja, das ist eine gute Ergänzung. Sie ist in Ihrem Wort aufplustern impliziert, und Sie meinen damit, dass meine Motivation
dieselbe ist wie die Rebeccas, das heißt, dass ich sie verführen will. Nun, das ist eine starke und berechtigte Hypothese. Mal sehen, wie wir sie überprüfen können.«
Schweigen. Keiner antwortete, aber Philip schien auch nicht auf eine Antwort zu warten. Nach einem Moment des Überlegens mit geschlossenen Augen verkündete er: »Vielleicht ist es am besten, Dr.
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