Die Schopenhauer-Kur
verdaute.
»Ich habe da ein kleines Dilemma«, sagte Julius. Er wartete einen Moment. »Einerseits«, fuhr er dann fort, »habe ich das Gefühl, dass es wichtig ist, diese Diskussion mit Philip weiter zu verfolgen, andererseits mache ich mir Sorgen um Rebecca. Wo sind Sie, Rebecca? Sie sehen bekümmert aus, und ich weiß, dass Sie sich einbringen wollten.«
»Ich fühle mich heute ein bisschen vor den Kopf gestoßen und ausgeschlossen, ignoriert. Von Bonnie, von Stuart.«
»Weiter.«
»Mir wird eine Menge Negatives angehängt – dass ich egozentrisch sei, kein Interesse an Freundinnen hätte, dass ich für Philip posiere. Das tut weh. Und ich ärgere mich darüber.«
»Ich weiß, wie das ist«, sagte Julius. »Ich habe dieselben spontanen Reaktionen auf Kritik. Aber ich will Ihnen sagen, was ich gelernt habe. Der Trick ist der, Feedback als Geschenk anzusehen, aber zunächst müssen Sie entscheiden, ob etwas Wahres daran ist. Ich gehe so vor, dass ich mich selbst überprüfe und mich frage, ob es mit meiner eigenen Erfahrung von mir übereinstimmt. Klingt irgendein Teil davon, vielleicht nur ein Zipfelchen, vielleicht fünf Prozent, nach der Wahrheit? Ich versuche, mich zu erinnern, ob mir schon andere Menschen dasselbe Feedback gegeben haben. Ich überlege mir, mit wem ich das klären kann. Ich frage mich, ob da jemand auf die Stellen zielt, die er sieht und ich nicht. Können Sie das versuchen?«
»Das ist nicht leicht, Julius. Ich fühle mich angespannt.« Rebecca legte ihre Hand auf ihr Sternum. »Genau hier.«
»Geben Sie dieser Anspannung eine Stimme. Was sagt sie?«
»Sie sagt: ›Wie werde ich auf die anderen wirken?‹ Es geht um Scham. Es geht ums Entdecktwerden. Diese Geschichte, dass Leute bemerken, dass ich mit meinem Haar spiele. Dabei schaudert es mich; am liebsten würde ich sagen: ›Das geht euch, verdammt noch mal, gar nichts an – es ist mein Haar – ich mache damit, was ich will.‹«
Mit seiner väterlichsten Stimme erwiderte Julius: »Vor Jahren gab es einen Therapeuten namens Fritz Perls, der eine Schule begründete, die sich Gestalttherapie nennt. Man hört heute nicht mehr viel von ihm, jedenfalls schenkte er dem Körper große Beachtung – zum Beispiel: ›Schauen Sie mal, was Ihre linke Hand gerade tut‹ oder: ›Wie ich sehe, streichen Sie sich oft über den Bart.‹ Dann bat er seine Patienten, die Bewegung zu übertreiben: ›Ballen Sie die linke Hand noch stärker zur Faust‹ oder: ›Streichen Sie sich immer heftiger über den Bart, und werden Sie sich bewusst, was das auslöst.‹
Ich hatte stets das Gefühl, dass Perls’ Ansatz eine Menge für sich hat, denn in körperlichen Bewegungen drückt sich sehr viel Unbewusstes aus. Trotzdem habe ich ihn in der Therapie nicht häufig genutzt. Warum nicht? Eben deswegen, was im Moment geschieht, Rebecca. Wir werden schnell defensiv, wenn andere uns bei etwas ertappen, dessen wir uns nicht bewusst sind. Daher verstehe ich, wie unwohl Sie sich fühlen, aber trotzdem, können Sie versuchen, es zu ertragen und zu ergründen, ob an dem Feedback irgendetwas Wertvolles ist?«
»Sie sagen also in anderen Worten: ›Seien Sie vernünftig.‹ Ich werde es probieren.« Rebecca setzte sich aufrecht hin und begann mit entschlossener Miene: »Zunächst mal: Es stimmt, dass ich gern beachtet werde und dass ich mit der Therapie angefangen habe, weil mich das Altern verstört und die Tatsache, dass die Männer mich nicht mehr anstarren. Also habe ich mich vielleicht für Philip aufgeplustert, aber nicht bewusst.« Sie wandte sich an die Gruppe. »Also, mea culpa. Ich habe es gern, wenn man mich bewundert, ich habe es gern, wenn man mich liebt und anhimmelt, ich habe die Liebe gern.«
»Platon«, warf Philip ein, »bemerkte, dass die Liebe in dem ist, der liebt, nicht in dem, der geliebt wird.«
»Die Liebe ist in dem, der liebt, nicht in dem, der geliebt wird – das ist ein wunderbares Zitat, Philip«, sagte Rebecca und ließ ein Lächeln aufblitzen. »Wissen Sie, das mag ich so an Ihnen. Kommentare wie diesen. Sie öffnen mir die Augen. Ich finde Sie interessant. Und attraktiv.«
Rebecca wandte sich an die Gruppe. »Heißt das, dass ich mir eine Affäre mit ihm wünsche? Keinesfalls! Die letzte Affäre, die ich hatte, hat beinahe meine Ehe ruiniert, und ich bin nicht scharf auf Ärger.«
»Also, Philip«, fragte Tony, »empfinden Sie etwas bei dem, was Rebecca eben gesagt hat?«
»Ich habe ja schon gesagt, dass es mein
Weitere Kostenlose Bücher