Die schottische Braut
hilfsbereit. Lass uns den Kontoristen aufsuchen, um ihn nach den anderen Passagieren zu fragen. Vielleicht ist auch eine Familie dabei, die froh ist, wenn ihr jemand hilft, die Kleinen zu versorgen.”
Jenny hörte kaum die unverzagten Worte der Freundin, als Kirstie sie zum Schiffskontor führte. Bedauernd schüttelte der Bürovorsteher den Kopf, als Kirstie nach weiblichen Passagieren fragte. “Mag Walker und Jenny Lennox sind die einzigen Frauen an Bord der
St. Bride”
, erklärte er.
Der Kontorist las die Namen der anderen sechs Passagiere vor. “Gregor McKinnon, Donald Beattie, Lowell Walker, George Irving, Gavin Tweedie und Harris Chisholm.”
Kirstie dankte dem Mann für seine Auskunft und tanzte förmlich um Jenny herum.
“Welch ein Segen”, flüsterte sie. “Für einen Augenblick fürchtete ich schon, das Glück hätte uns verlassen. Ich werde Mr Chisholm bitten, dich während der Reise unter seine Fittiche zu nehmen. Dann werden wir deinem Vater sagen, dass er ganz unbesorgt sein könne. Mr Chisholm mag zwar ein Mann und etwas seltsam in seiner Art sein, doch er ist in Dalbeattie geboren und geht jeden Sonntag zur Kirche. Unter seinem Schutz zu stehen ist gewiss nicht das Schlechteste.”
Als wäre er von den Bemerkungen herbeigerufen worden, tauchte Harris Chisholm im Gedränge des Hafens ganz in der Nähe der beiden Freundinnen auf. Jenny hätte ihn überall an seinem kastanienbraunen Haarschopf erkannt. Man hätte sein schmales Gesicht als gut aussehend bezeichnen können, wären da nicht die Narben an seinem Kinn gewesen und der fortwährend kühle, geringschätzige Ausdruck in seinen Augen. Anscheinend hielt er Ausschau nach Kirsten und schritt kurz darauf zielstrebig auf sie zu.
Kirsten drückte aufmunternd die Hand der Freundin und flüsterte ihr rasch zu: “Lass mich fragen. Der Mann, den ich nicht herumkriegen kann, muss erst gefunden werden.”
“Danke Kirstie, doch ich werde selbst mit Mr Chisholm sprechen.” Stolz hob Jenny den Kopf und versuchte, die Angst, die in ihr hochstieg, zu unterdrücken. Spielte das Leben nicht stets ein grausames Spiel mit ihr? Ihre ganze Zukunft lag nun in den Händen eines Mannes, der sie verachtete.
Es dauerte einen Moment, bis Harris Chisholm die gut gekleidete junge Dame neben der Tochter seines Arbeitgebers erkannte. Er wünschte, der alte Mr Robertson hätte nicht darauf bestanden, Kirsten mitzubringen. Harris hatte das unbehagliche Gefühl, dass sich hinter den funkelnden blauen Augen dieses unberechenbaren Wesens nur Spott verbarg.
Als er sich anschickte, die Damen anzusprechen, sah die Begleiterin von Miss Robertson zu ihm auf. Es war ein seltsam prüfender Blick, als wäre er, Harris Chisholm, der einzige Mann auf der Welt. Niemals hatte er eine Frau erblickt, die so lieblich aussah wie Jenny Lennox in diesem Augenblick.
Er hatte sie immer nur in Arbeitskleidung und mit Schürze gesehen oder in ihrem schlichten Sonntagsgewand. Heute trug sie Reisekleidung und einen dazu passenden königsblauen Mantel. Ein breitkrempiger Strohhut, verbrämt mit blassblauen Bändern, lenkte seinen Blick auf ihr Gesicht.
Ihre klassisch gleichmäßigen Züge erinnerten ihn an die weißen Marmorstatuen, die er in Edinburgh bewundert hatte. Wie viel bezaubernder hingegen sah solch ein Gesicht mit den lebendigen Farben aus. Ihre zarte Haut schimmerte rosa. Das warme Rot ihrer Lippen, die wie reife Erdbeeren leuchteten, weckte in ihm die Sehnsucht, sie zu küssen. Es war aber der forschende Blick ihrer großen grauen Augen, der Harris gefangen hielt.
“Darf ich Sie etwas fragen, Mr Chisholm?” Es klang ziemlich schroff, was Harris, der sie voller Bewunderung ansah, nicht bemerkte. Jenny Lennox hatte zu ihm gesprochen, das war ihm nicht entgangen. In Gedanken über ihre Schönheit versunken, hatte er aber nicht vernommen, was sie zu ihm gesagt hatte.
Harris bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. “Sie sind heute ziemlich weit weg von zu Hause, Miss Lennox.”
“Das bin ich”, erwiderte sie. “Und ich beabsichtige, noch weiter fortzugehen. Deshalb möchte ich Sie um einen großen Gefallen bitten, Mr Chisholm.”
Das war es also. Sie wollte etwas von ihm. Warum sonst schenkte ihm so ein hübsches Mädchen Aufmerksamkeit? Er sollte das eigentlich gewohnt sein. Nicht selten hatten Frauen Sehnsüchte in ihm geweckt, die sie nicht erfüllen konnten. Schöne junge Frauen, solche wie Jenny Lennox besonders. Er war auf einer einsamen Berghütte nördlich
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