Die schottische Braut
Verantwortung er auf sich genommen hatte. “Ich möchte sichergehen, dass Sie meine Anweisungen befolgen”, erklärte er. “Sie werden Ihre Kabine nur in meiner Begleitung verlassen. Und Sie werden niemanden einlassen. Haben Sie das verstanden?”
Jenny nickte zustimmend.
“Gut.” Er ging voran zur Treppe, die zu den Unterdecks führte. “Wir sollten Ihre Kabine suchen, um uns einzurichten, und zusehen, eine Kleinigkeit zum Abendessen zu bekommen. Der Himmel gefällt mir gar nicht. Wenn ich mich nicht irre, erwartet uns ein Unwetter, noch ehe wir Irland passiert haben.”
“Geben Sie mir noch ein wenig Zeit?”, bat Jenny. “Vor dem heutigen Tag bin ich niemals mehr als zwanzig Meilen von zu Hause weg gewesen. Ich bin das erste Mal auf einem Schiff.”
“Na gut.” Harris versuchte, ein Seufzen zu unterdrücken.
Eine innere Stimme riet ihm, den Blick von ihr abzuwenden, doch er konnte es nicht.
Jenny löste die Bänder ihres Hutes und nahm ihn ab. Flink entfernte sie einige Haarnadeln, sodass ihr die rotbraunen Locken bis zur Taille herabfielen, während kürzere Strähnen sanft ihr Gesicht umrahmten. Sie wandte sich dem Wind zu und schloss die Augen, als die frische Brise durch ihr Haar wehte. Sie sah aus wie die geschnitzte Galionsfigur der
St. Bride
am Bug der Bark – wundersam und glorreich zum Leben erwacht.
Harris zweifelte nicht an seiner Fähigkeit, Jenny Lennox vor den anderen Männern an Bord zu beschützen. Doch war er in der Lage, sein Herz davor zu bewahren, gebrochen zu werden?
2. KAPITEL
“Miss Lennox?”, rief Harris. Sein Pochen wurde heftiger, als keine Antwort kam. “Jenny!”
Wie er es vorhergesehen hatte, war ein heftiger Sturm aufgekommen, gerade als die
St. Bride
die berüchtigte Nordküste vor Ulster umschiffte. Wäre sie aus der anderen Richtung des Atlantiks gekommen, schwer beladen mit Holz aus New Brunswick, wäre es nicht so schlimm gewesen. So jedoch war der Segler, dessen Fracht nur aus leichten Handelswaren bestand, der wütenden See hoffnungslos ausgeliefert.
Die Planken unter Harris’ Füßen gaben im Rollen des aufgewühlten Meers nach, sodass er heftig gegen Jennys Kabinentür geschleudert wurde. Das Türschloss brach, und er taumelte in den Raum. Dabei stieß er sich das Schienbein gegen einen harten kantigen Gegenstand. Hinter ihm schwang die Tür mit den schlingernden Bewegungen des Schiffes auf und zu, wobei flackerndes Lampenlicht vom Gang hereinfiel. Der Raum war bis auf diesen Lichtschein völlig dunkel.
Wo kann Jenny hingegangen sein?, fragte sich Harris, als er sich das schmerzende Schienbein rieb. Sie hatte versprochen, die Kabine nicht ohne ihn zu verlassen. “Frauen”, brummte er vor sich hin. Sie machten leichtfertig alle möglichen Versprechungen, um ihren Willen zu bekommen, und taten dann doch, was sie wollten, ohne um Erlaubnis zu fragen.
Harris vernahm ein tiefes, qualvolles Stöhnen. Er tastete sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und berührte im nächsten Moment ein feuchtes Gesicht.
“Miss Lennox, warum liegen Sie hier im Dunkeln?”
“Zum Sterben”, kam schwach und heiser die Antwort.
Neben dem durchdringenden Geruch von Salzwasser und nassem Holz roch Harris den sauren Geruch von Erbrochenem. Durch die Dunkelheit getarnt, erlaubte er sich ein schalkhaftes Lächeln über Jennys Zustand. Offenbar war auch sie vor der irdischen Unerbittlichkeit der Seekrankheit nicht gefeit.
Sanft strich er ihr über die Wange. “Sie werden nicht sterben.”
“Ich möchte aber.” Die Worte gingen in aufsteigendem Gurgeln unter.
Harris wich zur Seite, als Jenny sich über den Rand ihrer Koje beugte. Einige Augenblicke würgte sie gequält, doch mit geringem Erfolg. Als sie wieder auf das Kissen zurücksank, beugte sich Harris über sie. Um das Heulen des Sturms zu übertönen, musste er sich ihrem Gesicht nähern.
“Wenn Sie sich so miserabel fühlen und trotzdem noch scherzen können, dann kommen Sie gewiss durch”, meinte er sanft. “Ruhen Sie sich aus. Ich hole Dr. Chisholms Arznei gegen Seekrankheit.”
“Mir ist alles egal”, wimmerte Jenny. “Machen Sie mit mir, was Sie wollen.”
Am liebsten hätte Harris laut aufgelacht. Du hast keine Ahnung, was ich mit dir machen möchte, Mädchen, dachte er. Wenn du es wüsstest, hättest du niemals solch ein verlockendes Angebot gemacht, gleichgültig wie schlecht du dich fühlst. Er beugte sich so nahe zu Jenny, dass er die Wärme ihres Körpers spüren konnte.
Ich muss
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