Die schottische Braut
verkörperte alles, wonach er sich sehnte und wovor er sich gleichzeitig fürchtete. Es ergab keinen Sinn, sie mit sich zu nehmen. “Nun …”
Sie spürte seine Unentschlossenheit, deshalb bot sie ihre ganze Überzeugungskraft auf. “Roderick Douglas ist ein einflussreicher Mann in Miramichi. Sicherlich würde er sich sehr dankbar zeigen, wenn Sie mir zu Diensten wären. Was auch immer Sie möchten – Geld, eine gute Anstellung … Sie brauchen nur Ihren Wunsch zu äußern, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, diesen zu erfüllen.”
In ihrem Blick lag nackte Verzweiflung, als würde sie einen Pakt mit dem Teufel schließen. Gekränkt durch ihr Ansinnen, wollte Harris den Mund öffnen, um ein für alle Mal abzulehnen. Da streckte Jenny den Arm aus und berührte seine Hand.
“Bitte!”
Ihre Berührung war so sanft und warm. Harris brachte es nicht über das Herz, Roderick Douglas die Gelegenheit zu verwehren, ebenso zu fühlen. Vielleicht werde ich sogar Douglas’ Vorbild folgen, dachte Harris – und ebenfalls mein Glück in den Kolonien machen. Dann würde er nach Hause schreiben und um eine Braut werben.
“Ich werde es tun”, stimmte er zu. Deutlich war ihm die mangelnde Begeisterung anzumerken. “Ich sorge dafür, dass Sie sicher in Miramichi ankommen.”
Jennys Beine drohten nachzugeben. Für einen Augenblick fürchtete Harris, dass sie ohnmächtig werden könnte vor Überraschung und Erleichterung. Rasch nahm er ihre Hand, um sie zu stützen. Sie erwiderte seinen festen Griff damit, dass sie ihm die Hand schüttelte, um das Übereinkommen zu besiegeln.
“Dann ist es abgemacht. Und ich schwöre, ich werde Ihnen nicht zur Last fallen.”
Einen Moment lang stellte sich Harris seine Rolle als guter Geist vor. Wie oft im Leben war jemandem die Macht gegeben, einem anderen Menschen den innigsten Wunsch zu erfüllen? Diese Aussicht erbaute ihn.
“Niemals werde ich Ihnen genug danken können.” Nach diesen Worten bedachte sie Harris mit einem Lächeln, das ihre ganze Hochachtung ausdrückte, und er fühlte sich völlig entlohnt, was auch immer ihn dieses Unternehmen kosten würde.
Die
St. Bride
segelte mit beginnender Ebbe aus der Bucht von Kirkcudbright. Ihre Passagiere drängten sich an der Heckreling, um einen letzten Blick auf das Heimatland zu erhaschen, mit dem keiner von ihnen ein Wiedersehen erwartete. In dem Bewusstsein, die einzige Frau an Bord zu sein, stand Jenny etwas abseits von den männlichen Passagieren. Sie schwenkte ihr Taschentuch zu einem letzten Lebewohl für ihren Vater und Kirstie, von denen sie unter Tränen Abschied genommen hatte.
Die Planken der Bark knirschten. Seilrollen quietschten, die Segel blähten sich im auffrischenden Wind. All diese Geräusche übertönend, erhob sich die tiefe Stimme des ersten Maats. Er rief der Mannschaft Befehle zu, um Vorkehrungen für die verschiedenen Ausleger, Masten und Segel zu treffen. Mehrere unerfahrene Seeleute blickten ebenso erstaunt wie Jenny bei den ungewohnten Worten. Andere schienen die Befehle verstanden zu haben, doch sie konnten sie nicht ausführen, da sie noch an den Nachwirkungen der durchzechten Nacht litten.
Als sich Jenny an die dreisten, anzüglichen Blicke erinnerte, die die Männer ihr bei der Ankunft auf der
St. Bride
zugeworfen hatten, war sie mit einem Mal froh, dass sich ihr Vater um ihre Sicherheit gesorgt hatte. Im Bewusstsein der unmittelbaren Anwesenheit von Harris Chisholm, der schützend hinter ihr stand, trat sie näher an ihn heran. Sie dankte Gott für Harris Chisholms düsteren Blick und die Narben, die ihn so gefährlich aussehen ließen. Mit diesem Mann an ihrer Seite wusste Jenny, dass ihr nichts zustoßen konnte.
Nachdem die Bark Little Ross umrundet hatte, verließen die meisten Passagiere das Oberdeck. Eine frische Brise wehte von Solway Firth herüber. Harris und Jenny verweilten noch an der Heckreling, nachdem die anderen bereits unter Deck gegangen waren.
“Wünschen Sie sich nun, dass Sie doch auf ein anderes Schiff gewartet hätten?” Harris deutete in die Richtung des westlichen Horizonts.
Hatte er ihre Gedanken erraten? Sie erwiderte mit mehr Überzeugung, als sie fühlte: “Wenn Sie sich erinnern, hatte ich keine Wahl. Ich bin froh, auf dem Weg nach New Brunswick zu sein, und ich danke Ihnen, dass Sie mir das ermöglicht haben. Ich denke, Sie werden in der Lage sein, auf mich aufzupassen.” Ihre Worte machten Harris mit einem Male bewusst, welche schwerwiegende
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