Die schottische Braut
von Dalbeattie nur in der Gesellschaft seines Vaters und Großvaters aufgewachsen. Frauen waren ihm so fremd wie Wesen aus einer anderen Welt. Er kannte sie nur aus Romanen von Walter Scott – Flora MacIvor, Diana Vernon und Ivanhoes Rowena.
In den Träumen, die Scotts epische Romane in ihm nährten, hatte Harris sich oft vorgestellt, wie wundervoll es sein mochte, eine Frau um sich zu haben, die ihn zärtlich ansah und liebevoll zu ihm sprach. Es verletzte ihn, wenn stattdessen die Mädchen sich aus Furcht oder, was noch schlimmer war, aus Mitleid vor ihm zurückzogen. Seinen Schmerz und Ärger darüber verbarg er oft hinter kalten und scharfen Worten.
Das machte jedoch die Sache noch schlimmer. Viel lieber lebte er an einem Ort mit nur wenigen Frauen, vor allem, wenn diese bereits mit anderen Männern verehelicht waren. New Brunswick, eine nördliche Grenzkolonie auf der anderen Seite des Atlantiks, sollte dem Wunsch Genüge tun. Ohne Ablenkung durch hübsche Mädchen, deren echte Zuneigung er doch nie gewinnen konnte, würde er sich darauf beschränken, etwas aus sich zu machen.
Harris merkte selbst, wie seine Gesichtszüge maskenhaft starr wurden. Jenny Lennox schien seinen inneren Zwiespalt zu spüren. Sie blickte ihm tief in die Augen und zwang ihn so, sie anzusehen und ihr zuzuhören, damit er ihr gewährte, worum immer sie ihn bitten würde.
“Mr Chisholm, ich reise nach Miramichi, New Brunswick, auf der
St. Bride
, ebenso wie Sie. Haben Sie gehört, dass ich Roderick Douglas heiraten werde?”
Es widerstrebte ihm, sich auf eine Konversation einzulassen, deshalb nickte Harris bloß.
“Ich beabsichtigte, in Begleitung der Familie Walker zu reisen. Nun erfahre ich, dass Mr Walker einen Unfall hatte und deshalb nicht mit uns segeln kann. Mein Vater würde mich niemals an Bord dieses Schiffes lassen, wenn mich nicht jemand in seine Obhut nähme, dem er vertraut und der mich beschützt. Es sind keine anderen weiblichen Passagiere an Bord der
St. Bride
, und Sie sind der einzige Mann, den ich auf dem Schiff kenne. Ich möchte Sie bitten, meinem Vater zu versprechen, mich sicher nach Miramichi zu bringen. Er hat noch etwas im Ort zu erledigen, wird aber bald hier sein.”
Sie hielt inne, um Luft zu holen. Harris hatte das leichte Zittern ihrer Stimme bemerkt.
“Ich …”, begann er gepresst. Er räusperte sich. Harris versuchte es erneut und sprach nun mit seinem gewohnten tiefen Bariton. “Das wäre nicht passend.”
Innerlich ärgerte er sich über diese Beleidigung. Was war er – ein Eunuch, dem man ein Weib anvertraute, damit er es vor den wollüstigen Annäherungen richtiger Männer an Bord der
St. Bride
beschützen sollte? Auch wenn Miss Lennox wahrscheinlich so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben wollte, war er nicht im Geringsten gefeit gegen ihren Charme.
“Warum warten Sie nicht und nehmen ein anderes Schiff?”
“Weil …” Der heisere Unterton in ihrer Stimme verriet, dass sie den Tränen nahe war.
Harris warf den Kopf zurück. Als hätte eine Frau keine anderen Waffen in dem uralten Kampf der Geschlechter! Diese Wesen konnten sich wegen eines weggewehten Hutes in Tränen auflösen und einem Mann die Haltung rauben.
“Weil ich meine Passage bereits bezahlt habe”, antwortete sie. “Man zahlt mir gewiss nicht das Geld zurück, bloß weil mein Vater dagegen ist, dass ich allein reise.”
“Sicherlich kann Ihr … Bräutigam, Mr Douglas, das Geld für eine andere Passage aufbringen.” Harris klang nicht sonderlich zuversichtlich.
“Selbst wenn er nochmals bezahlen würde, bis ich ihm Nachricht geben kann, habe ich drei Monate verloren. Ich weiß, dass Mr Douglas bald heiraten möchte. Es würde ihm vermutlich wenig Mühe bedeuten, ein anderes Mädchen zu finden.”
Ergrimmt stand Harris stumm da. Roderick Douglas wäre ein Narr, wenn er nicht auf solch eine außergewöhnliche Braut wie diese hier wartete.
“So also ist der Sachverhalt, Mr Chisholm.” Damit schloss sie ihr Anliegen ab. “Entweder segle ich heute mit der
St. Bride
, um die Frau eines reichen Mannes zu werden, oder ich gehe nach London, um mich als Küchenmagd im Haushalt eines reichen Mannes zu verdingen.”
Kaum hatte sie diese Unheil verkündende Erklärung abgegeben, verzog sie die Lippen unerwartet zu einem schalkhaften Lächeln. “Haben Sie sich jemals gewünscht, ein guter Geist zu sein?”
Ein Teil von Harris wollte ihr sehr gern zustimmen, doch ein anderer wehrte sich dagegen. Jenny Lennox
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