Die schottische Braut
Vaters zu seinem Reichtum getrieben. Harris trachtete nach einer Frau, die wie seine Mutter ausersehen war, ihn zu verlassen. Und sie selbst war angespornt von den Worten der sterbenden Mutter, “sich gut zu vermählen”.
Roderick lächelte plötzlich. “Sie sind nun eine feine Dame, meine liebe Janet. Sie haben es nicht nötig, sich mit Bediensteten abzugeben. Überlassen Sie das Mrs Lyons. Sie ist lange genug bei mir, um zu wissen, wie ich Dinge besorgt haben möchte.”
Jenny rang sich ein Lächeln ab und nickte zustimmend – oder war es Unterordnung? Keine Frage, Roderick war ein gut aussehender Mann. Doch mehr und mehr hatte sie in den vierzehn Tagen, die sie seit ihrer Ankunft in Chatham mit ihm verbracht hatte, erkannt, dass er zwar das Auge eines Menschen erfreute, nicht aber dessen Herz gewann.
“Rum, Gin oder Whisky?”, fragte Harris den Gast und wischte mit einem nassen Tuch über die Theke.
Schankbursche in der Taverne war die einzige Anstellung, die er in Chatham hatte finden können, obwohl er emsig bei allen Unternehmen in der Stadt vorstellig geworden war. Selbst solche, die nach Hilfskräften suchten, hatten offenbar alle Stellungen bereits vergeben. Harris zweifelte nicht einen Moment daran, dass Roderick Douglas dahintersteckte.
“Was ist am billigsten?”, fragte der Gast und lehnte sich schwer gegen den Tresen.
“Rum”, sagte Harris. “Und wenn Sie meinen kleinen freundschaftlichen Rat annehmen wollen, sollten Sie dabei bleiben.”
“Rum denn.” Der Mann warf einige Silberstücke auf den Tresen. “So lange, bis das aufgebraucht ist.”
Sein Gast schien nicht sehr gesprächig zu sein, deshalb sagte auch Harris nichts und füllte nur ab und zu das Glas nach. Harris versuchte nicht, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen, wie er es normalerweise getan hätte.
Seine Tage und Nächte in der Bar hatten ebenso wenige Ergebnisse gebracht wie seine Suche nach Arbeit. Und wahrscheinlich aus demselben Grund. Jeder in der Stadt lebte in Angst vor Roderick Douglas. Harris hatte sein Bestes versucht, wenigstens eine schreckliche Geschichte über diesen Mann zu erfahren, um Jenny damit zu konfrontieren. Niemand, gleichgültig wie betrunken er war, hatte Bereitschaft signalisiert, etwas zu verraten. Mehr als eine unterschwellige Warnung oder ein leiser Fluch gegen Roderick Douglas war nicht drin gewesen.
Harris hatte in den vergangenen zwei Wochen Jenny zwei Mal gesehen, als sie auf dem Weg zur Kirche – der Englischen – in Rodericks Kutsche saß. Einige Male war er tagsüber zum Hause Rodericks gegangen, war jedoch immer von der hageren Haushälterin, die in Douglas’ Diensten stand, abgewiesen worden. Hielt man Jenny gefangen? Oder war sie mit ihrem neuen Leben zufrieden und wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben? Er musste sie noch einmal sehen, um Gewissheit zu haben.
“Noch einen Drink”, forderte Harris’ Gast.
“Das würde ich gern tun, Freund. Doch das Geld ist aufgebraucht.”
Der Mann durchsuchte seine Taschen eine Weile, doch ohne Erfolg. Dann beugte er sich hinab, öffnete seinen Seemannssack und holte ein Buch hervor. “Was geben Sie mir dafür?”
Harris schüttelte den Kopf. “Der Wirt hat mich angewiesen, nur Bargeld zu nehmen, Sir.” Dann fiel sein Blick auf den Titel der Ausgabe – “Ivanhoe”. Er hatte seine eigenen Bücher in Richibucto zurückgelassen und vermisste sie.
Harris dachte dabei nicht an sich, als er das Buch in seiner Hand hin und her drehte.
“Ich sage Ihnen was, Freund. Wenn Sie mir einen guten Preis dafür machen, bezahle ich das Buch. Dann ist es Ihre Sache, was Sie mit dem Geld tun, das ich Ihnen gebe.”
Der Mann nannte mit schwerer Zunge eine Summe.
“Ich weiß, dass es so viel wert ist.” Bedauernd schüttelte Harris den Kopf. “Doch so viel habe ich nicht.”
“Wie viel haben Sie?”
Harris holte aus seinen Taschen die Silbertaler von Roderick Douglas und dazu noch einige Münzen, die er hier verdient hatte. “Das ist alles.”
“Dann nehmen Sie es! Bevor ich nüchtern werde und es mir anders überlege.”
Am nächsten Tag steckte Harris ein Blatt Papier zwischen die Seiten des Buches. Dann gab er es einem Jungen, mit dem er sich angefreundet hatte, damit dieser es im Haus von Mr Douglas für Miss Jenny Lennox abgeben sollte, ohne zu sagen, von wem es kam.
Eine halbe Stunde ging er unruhig auf und ab. Würde Jenny seine Nachricht erhalten, oder würde Roderick Douglas’ Haushälterin sie abfangen? Selbst wenn die
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