Die schottische Lady
schrieben deinem Vater und deinem Bruder, verständigten den Leichenbestatter und den Constable.«
»Aye, eine Untersuchung fand statt.«
»Selbstverständlich. Dein Vater war zu verzweifelt, um sich damit zu befassen, doch dein Bruder sprach mit uns allen, und er stellte unzählige Fragen. Schließlich wurdest du in diesen Sarg gelegt. Ich kam fast jeden Tag hier-her, bis ... «
»Nun? «
»Bis ich davonrannte. Ich hielt es nicht mehr in Castle Rock aus. Und so ging ich nach Glasgow. Aber Alistair erklärte mir, ich müsse trotz der Vergangenheit nach Hause kommen und meine Pflicht als Oberhaupt des Clans erfüllen. Also kehrte ich zurück, trotz meiner Krankheit.«
»Woran hast du gelitten?«
Sie zuckte die Achseln und senkte den Blick.
»An den Folgen des Schocks, an Melancholie und Verzweiflung.«
»Verzweiflung?«
»Nein, David, ich werde nicht ständig wiederholen, dass ich dir nichts antun wollte. Wenn du mir jetzt noch immer nicht glaubst, bist du ein verbitterter Wahnsinniger.«
»Oh, ich bin nach wie vor bei klarem Verstand, so erstaunlich das auch klingen mag. Was meinst du, wie mir zumute ist? In all den Jahren führte ich das Leben eines anderen, während ich scheinbar hier lag, bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.«
»Leider kenne ich die Zusammenhänge nicht.«
Er starrte sie an, dann wandte er sich ab, legte den Deckel auf den Sarg zurück und schob alle Nägel in die dafür bestimmten Löcher.
»Immer wieder stellst du mir Fragen«, seufzte Shawna, »und weigerst dich, Erklärungen abzugeben. Verrat mir doch endlich, was geschehen ist!«
Zögernd begann er zu sprechen. »Einige Tage nach dem Feuer erwachte ich an Bord eines Sträflingsschiffs, das Mörder und andere Verbrecher nach Australien brachte. Die Neuigkeit vom Tod des Lairds hatte sich inzwischen herumgesprochen. Deshalb glaubte mir der Kapitän nicht, als ich versicherte, ich sei nicht Collum MacDonald, sondern David Douglas. Zwei Jahre lang rackerte ich mich auf seinem Schiff ab, dann arbeitete ich in einem australischen Steinbruch. Nach zwei weiteren Jahren gelang mir die Flucht, gemeinsam mit einem Freund, und ich schlug mich bis hierher durch. Diesem Freund, einem Arzt, verdanke ich mein Leben. An Bord des Schiffs beschwor er mich, die falsche Identität anzunehmen, sonst würde mich der Kapitän zu Tode peitschen lassen, und ich könnte mich niemals an meinem Feinden rächen.«
»Nun, du hast dich bereits gerächt. Für jene Nacht werde ich bis zu meinem letzten Atemzug büßen.«
»Tatsächlich? Dann muss ich dich vor dem schnellen Tod bewahren, den du offensichtlich anstrebst, indem du trotz aller Gefahren allein herumläufst ... « Sein Atem stockte. »Still! Hörst du das?«
Im Korridor, der von der Halle zur Kapelle führte, näherten sich die Schritte zweier Personen. Schwerter klirrten leise in ihren Scheiden, Flüsterstimmen erklangen. Instinktiv ahnte Shawna, dass diese Leute nichts Gutes im Schilde führten.
David blies die Laterne aus und stellte sie auf den Boden. »Rühr dich nicht!« wisperte er in Shawnas Ohr.
Als die Neuankömmlinge zur Krypta herabstiegen, waren die Stimmen deutlicher zu hören. Offensichtlich stritten sie miteinander.
»Nur Leichen.«
»Aber du sagtest ... «
» Dass ich was gehört habe.«
»Du Narr! Sicher hast du dich getäuscht.«
»Jedenfalls müssen wir feststellen, ob-hier wirklich nur Tote liegen.«
Särge wurden geöffnet, Schwerter gezogen, Leichentücher zerfetzt. Bei diesen Geräuschen zuckte Shawna entsetzt zusammen.
»Hätte ich ihr doch nur die Kehle durchschnitten!«,
»Du verstehst überhaupt nichts!«
Plötzlich trat David vor, und sie hörte, wie er sein Messer aus dem Stiefelschaft zog. Sie klammerte sich an sein Hemd und wollte ihm folgen. Aber er schob sie zurück. »Bleib hier!« flüsterte er.
»Geh nicht!«
»Doch, ich muss ... «
»Diese Männer sind mit Schwertern bewaffnet, vielleicht sogar mit Pistolen.«
»Und ich habe mein Messer, Lady. Außerdem kann ich das Überraschungsmoment nutzen.«
»Nein, David!«
»Bitte, Shawna, sei still!« Er schlich davon.
Inzwischen waren die Eindringlinge verstummt. Nichts war zu hören, endlose Minuten verstrichen. Dann krachte ein Schuß, gefolgt von keuchenden Atemzügen. Fand ein Kampf statt? Schmerzhaft hämmerte Shawnas Herz gegen die Rippen.
Trotz des Befehls, den David ihr erteilt hatte" verließ sie das Grabgewölbe und eilte durch den Korridor zum Zentrum der Gruft. Dort brannte ein schwaches
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