Die schottische Lady
hinunter. Von der Krypta zweigten mehrere Korridore ab. Eine zweite Treppe mit achtundzwanzig Stufen führte zur Friedhofstür hinauf. Aber alle Douglas waren in der Gruft bestattet worden, zusammen mit Priestern und treuergebenen Dienstboten. Die Gräber säumten die Wände. Dort lag ein Ahnherr, der mit Montrose gegen die Engländer gefochten hatte. Ein anderer war im Kampf für die schottische Königin Mary gestorben. Vor dem ersten Gang, der die ältesten Grabmäler barg, blieb David stehen. Wie viele Gebeine mochte die Kälte der Krypta vor dem Verfall bewahrt haben?
Langsam wanderte er weiter, zwischen steinernen Engeln, und fand das Grab mit seinem Namen. Ein Eisengitter versperrte ihm den Weg. Doch es war unverschlossen, mit ebenso gutgeölten Angeln wie die Tür zur Gruft, und er ging hindurch. Im Hintergrund des kleinen Gewölbes lag ein violettes Tuch über dem reichgeschnitzten Sarg des Laird Douglas.
Auch an den Seitenwänden standen Särge. Zur Rechten ruhte Mary Douglas mit fünf ihrer Kinder, die zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts gestorben waren, nicht älter als sechs. Links hielt Marys Ehemann Laird Fergus mit seiner zweiten Gemahlin Eugenia den ewigen Schlaf, ebenso sein Sohn Fergus mit seiner Frau Helena of York. Wie die Inschriften verrieten, hatte der erste Fergus für William Wallace gekämpft und der zweite für Robert den Teufel.
David hatte angenommen, man würde ihn neben seiner Mutter bestatten. Aber ihr Grab befand sich in einem anderen Gang, nahe der Treppe. Und wen würde er in seinem Sarg finden? Er entfernte das violette Tuch, schob die Metallstange unter den Deckel und bot seine ganze Kraft auf, um ihn zu öffnen. Auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß. Endlich gab das knarrende Holz nach, laut durchbrach das Geräusch, das wie ein menschliches Stöhnen klang, die Stille der Nacht. Der Lärm würde vermutlich einige Schloss bewohner wecken.
Nun muss te er sich beeilen. Er legte die Stange beiseite, hob den Deckel hoch und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten.
Entsetzt starrte er die Gestalt im Sarg an. Seine eigene Leiche. Dann hörte er die Schritte. Jemand näherte sich von der Treppe her. Schnell löschte David die Laterne
Shawna nahm eine Kerze aus ihrem Zimmer mit und schützte das Flämmchen mit ihrer hohlen Hand vor dem Luftzug im Schloss .
Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe hinab und hielt im ersten Stock inne, um sich zu vergewissern, nichts Verdächtiges zu hören.
Dann eilte sie weiter. In der Halle traf sie niemanden an. Es war unerträglich, in ihrem Zimmer auszuharren. Und Alistair hatte etwas in der Kapelle gehört. Jetzt schien ein Geräusch aus der Krypta zu dringen, ein Stöhnen, als würden die verstorbenen Douglas-Mitglieder gegen die Ereignisse der Gegenwart protestieren.
Sie lief durch den Korridor zur Kapelle und trat ein. Im schwachen Kerzenschein schimmerten die alten Fenster und erfüllten den Raum mit ätherischen Farben. Unbehaglich schaute sie sich um - niemand saß im Kirchengestühl, niemand lauerte hinter den Säulen. Die Eisentür zur Krypta war geschlossen, ließ sich aber leicht öffnen. Daneben lehnte eine schwere Lichtputzschere für die Altarkerzen, aus Messing, etwa zwei Meter lang. Shawna zögerte nur kurz, ehe sie mit der linken Hand danach griff. In der rechten Hand die Kerze, stieg sie die Stufen hinab. Sie war schon oft In der Douglas-Gruft gewesen, um Blumen auf Davids Sarg zu legen. Aber immer nur tagsüber.
Noch nie hatte sie eine so unheimliche Finsternis gesehen wie jetzt, da sie sich immer tiefer in die Schatten des Todes hineinwagte. Sie sollte umkehren, die Treppe hi n aufl a ufen ... Aber der Tod wird mir nichts zuleide tun, sagte sie sich und ging weiter. Da sie weiche Pantoffel trug, waren ihre Schritte kaum zu hören.
In den einzelnen Gängen lagen die Toten hinter Eisengittern und schliefen seit Jahrhunderten mit gefalteten Händen. In ihrer regen Fantasie sah sie Leichen, die sich plötzlich aufsetzten und sie anstarrten und des versuchten Mordes bezichtigten. Sie versuchte, nicht in die stockdunklen Korridore zu spähen.
Plötzlich hörte sie ein grausiges Stöhnen. Als würde ein Toter geschlagen und müss te die Qual seiner letzten Atemzüge noch einmal spüren. Beinahe hätte Shawna geschrien. Sie schluckte krampfhaft und holte tief Luft. Die Lichtputzschere hoch erhoben, setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die Kerze spendete nur wenig Licht. In den Korridoren schienen schwarze Scheinen
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