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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Michel nicht mehr nötig war, um ihn zu verurteilen. Eine Zeit lang glaubte ich, dass es gar nicht anders gewesen sein konnte. Ich wollte Euch dies ersparen, sofern es in meiner Macht lag.«
    Ich hatte dies auch selbst gewollt, verzweifelt und so sehr, dass mein eigenes Bewusstsein sich einfach weigerte, es zu glauben. Irgendwann im Verlauf der Enthüllungen war die überwältigende Wahrheit über mich gekommen wie Regen im Winter – kalt bis ins Mark. Solange ich konnte, hatte ich mich in einen Umhang aus Wachstuch gewickelt, damit die entsetzlichen Tropfen abperlen würden. Und das taten sie auch – nach Gilles’ Schwur, dass er so etwas nie übers Herz bringen würde, gelang es mir, dies alles beiseite zu schieben. Warum hatte ich ihm geglaubt? Aus demselben Grund, warum er getötet hatte – er hatte töten wollen, und es konnte getan werden. Ich hatte glauben wollen, und ich fand diesen Glauben in mir.
    Stumm stiegen wir die Treppe hinab. Als wir im Hof standen, sagte ich: »Habt Dank, dass Ihr mich beschützen wolltet, aber da ich jetzt die Wahrheit kenne, bin ich in gewisser Weise auch von einer Last befreit. Ich habe die Unsicherheit, was wirklich mit Michel passiert ist, so viele Jahre mit mir herumgetragen, dass ich sie jetzt, da sie mich nicht länger bedrückt, vielleicht sogar vermissen werde. Ich werde Leere in mir spüren, wo einst Hoffnung war.«
    »Ihr werdet Dinge finden, um diese Leere zu füllen«, sagte er. Mit großer Zärtlichkeit schob er mir eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, unter die weiße Haube zurück, die meinen Schleier hielt.
    »Wir werden Euch hier sehr beschäftigt halten, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
     
    Anscheinend hatte Jean sich so weit erholt, dass er zu seinen Gefährten zurückkehren konnte, denn als ich meine Kammer erreichte, war er nicht mehr da.
    »Wie spät es wohl sein mag?«, fragte ich mich und ließ mich auf mein Lager sinken. »So erschöpft wie jetzt war ich in meinem ganzen Leben noch nicht. Vielleicht sollte ich einfach sehr lange schlafen. Aber bevor ich es tue, flehe ich Euch an, bitte sagt mir, was Milord zu Euch sagte, als Ihr bei ihm wart.«
    »Jetzt ist nicht die Zeit, um so etwas zu besprechen.«
    »Bitte, Eminenz, es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt.«
    Mit einer Hand griff er zur Tür, schob sie zu und setzte sich dann vorsichtig auf meinen kleinen Stuhl. Kurz musterte er das blaue Kleid, sagte aber nichts. »Ich habe mit ihm eine Absprache getroffen. Milord wird morgen ein noch tiefer gehendes Geständnis ablegen. Er wird gestehen, mit seinen Verbrechen schon in früher Jugend begonnen zu haben und nicht erst in dem Jahr, als sein Grandpère starb.«
    Gilles de Rais hatte das Recht, morgen alles zu sagen, was er wollte, es war ihm bereits gewährt worden und konnte nicht widerrufen werden. Dies wäre seine letzte Gelegenheit, vor den Vertretern Gottes seine Taten zu rechtfertigen.
    »Er wird also nicht über den Mord an Michel sprechen.«
    »Nein. Aber ich kann es von ihm verlangen, wenn Ihr es wünscht.«
    »Nein«, sagte ich leise. »Es wäre zu schmerzhaft, das alles noch einmal zu hören. Aber Ihr wart eine ganze Weile bei ihm; Ihr habt doch sicherlich über mehr gesprochen.«
    »Es wurden noch andere Vereinbarungen getroffen, aber die sind im Augenblick ohne Bedeutung, und Ihr braucht Euch deswegen nicht den Kopf zu zerbrechen.« Er stand ziemlich unvermittelt auf.
    »Ich überlasse Euch jetzt Euren Träumen. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, mein Bischof.«
    Nun war ich allein mit der bitteren Wahrheit. Ich zog alles aus, was ich trug, bevor ich zu Bett ging – meine Robe, das Untergewand und die goldene Kette, die ich um den Hals trug. Ich wollte so ungeschmückt und rein sein wie am Tage meiner Geburt. Indem ich das tat, hoffte ich, mich unberührt fühlen zu können von den Kümmernissen meines Lebens. Aber es sollte nicht sein. Mein Geist ließ es nicht zu.
    Meine Träume waren unbeschreiblich düster. Mehrmals wachte ich schweißgebadet auf, geweckt von grausigen Bildern meines kopflosen Sohnes. Manchmal rief er mir zu und verfolgte mich, und ich versuchte zu fliehen, und im nächsten Traum war ich es, die hinter ihm herlief. Manchmal waren seine vom Blut feucht glänzenden Eingeweide zu sehen, und dann stolperte er über sie und verlor den Halt und stürzte den Uferdamm des Baches unterhalb des Eichenhains hinunter, um dort zu liegen und sich vor Schmerzen zu winden. In einem Traum hielt ich seinen Kopf in meinen

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