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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sollte
ich es wie Muus machen: einen roten Kreis um das Datum
malen, das irgend jemand zu meinem definitiven Abgangsdatum
auserwählt hatte – Mittwoch nächster Woche.
    Sollte ich Konsequenzen daraus ziehen, daß dies dann mein
allerletzter Freitag war, und ihn zum Freitag aller Freitage
erklären? Sollte ich eine Suite im Solstrand Hotel bestellen und
Karin zu einem Winterwochenende einladen, das sie niemals
vergessen würde? Oder war es eine Art Lähmung, die einen traf,
wenn man eine solche Botschaft bekam: Lehn dich zurück und
laß alle Hoffnung fahren – Ein paar Minuten lang durchforstete
ich mein Hirn danach, wer mir wohl solch eine Mitteilung
geschickt haben könnte. Es könnte eine Art makabrer Witz sein,
natürlich, aber der einzige in meinem Umkreis, der dafür sowohl
phantasievoll als auch geschmacklos genug wäre, war der, mit
dem ich gerade telefoniert hatte, und er hätte sich in dem Fall
sicher die Chance nicht entgehen lassen, wenigstens eine
winzige Andeutung fallenzulassen.
    Im Laufe meiner bald achtzehnjährigen Tätigkeit als Privatdetektiv hatte ich selbstverständlich so einigen Menschen auf die
Füße getreten, aber nicht so fest, hoffte ich, daß jemand den
Wunsch haben könnte, zu solch einem drastischen Zeichen zu
greifen, um es mir heimzuzahlen. Jedenfalls, wenn man vorhatte, die Drohung in die Tat umzusetzen. In meiner Situation
würde es, wie ich fürchtete, nicht viel helfen, bei der Polizei
Anzeige zu erstatten. Gerade diesen Fall würde sie mich wohl
bitten, selbst zu übernehmen.
Das beste war, an etwas anderes zu denken.
    Zweimal im Laufe des vergangenen Tages hatte ich mich bei
dem Gedanken an den Richter Brandt ertappt. Und Muus hatte
mir nur was den Mord betraf ausdrücklich verboten, Nachforschungen anzustellen.
    Noch hatte keine Todesanzeige in der Zeitung gestanden, aber
die Gerüchte, die in der Stadt kursierten, besagten, daß die
Beisetzung aufgrund der besonderen Umstände in aller Stille
erfolgen würde. Ein Kondolenzbesuch bei der Witwe würde
kaum als höflich und taktvoll angesehen werden. Aber das Hotel
aufzusuchen, in dem er gestorben war, konnte mir niemand
verbieten.
17
    Bergen war in einer Phase der Expansion, ähnlich wie in den
siebziger Jahren. Damals waren es Bankfilialen, die an jeder
Straßenecke aus dem Boden schossen. Jetzt waren es Hotels.
Manche würden sich vielleicht genötigt fühlen zu sagen, der
Tourismus habe übernommen, was die Finanzkräfte aufgegeben
hätten. Aber wenn man genauer hinsah, wem die Hotels gehörten, wurde einem klar, daß in Wirklichkeit nur die Pferde
gewechselt wurden. Die Personen im Hintergrund und die
Gelder, die sie einsetzten, waren noch immer dieselben.
    Das Hotel, in dem Richter Brandt seine letzten Stunden verbrachte, hatte immer zu einem der besten der Stadt gezählt,
obwohl wechselnde Besitzer ihm in den letzten Jahrzehnten zu
einem etwas zweifelhafteren Ruf verholfen hatten, als zu seinen
Blütezeiten. Ich durchquerte die Eingangshalle auf dem Weg
zum Restaurant im ersten Stock, ging aber weiter die Treppen
hinauf, kam an der Garderobe für die Säle im zweiten vorbei
und stieg von dort aus weiter nach oben.
    Für einen Freitag war auffällig viel Betrieb auf den Gängen.
Es war offensichtlich, daß die letzten Geschäftsreisenden dieser
Woche ihre Zimmer so lange wie möglich behalten hatten, und
daß man zum Wochenende eine Großbelegung erwartete,
vielleicht irgendeine Art von Kongreß.
    Die Zimmermädchen hasteten mit Handwagen voller sauberer
und dreckiger Wäsche, Stapeln von Handtüchern und frischgeöffneten Putzmittelbehältern vorbei. An strategischen Orten im
Flur standen rote Plastikkisten, die sich schnell mit Leergut aus
den geräumten Zimmern füllten.
    Ich hielt eines von ihnen an, eine rothaarige Mollige mit
lustigen Sommersprossen und einem Lächeln, das schnell zu
einer besorgten Miene wurde, als ich meinen offiziellen Ton
anschlug und fragte: »Sie waren es doch, die Richter Brandts
Leiche gefunden hat, oder nicht?«
»Ich, nee!« sagte sie bestürzt im Sogndialekt. »Das war die
    Annebeth, aber die is’ heut’ nich’ hier!«
»Oh?«
»Sie is’ krankgeschrieben, schon seit …«
»Aber –«
»Frag Gro Anita, die wohnt mit ihr zusamm’!«
»Und wo finde ich sie?«
»Im fünften. So ’ne füllige, dunkle –«
Ich bedankte mich für die Hilfe, verließ die füllige Rothaarige
und ging auf die Suche nach der fülligen Dunklen, zwei Etagen

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