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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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weiter oben.
    Ich fand sie, als sie gerade aus einem Zimmer kam, den Arm
voller Bettwäsche. Sie war nicht nur füllig und dunkel, sondern
auch auffallend hübsch, mit einem südländischen Einschlag, der
sich aufgrund ihres stark abgeschliffenen Sørlanddialekts nicht
näher zuordnen ließ.
    Die braunen Augen sahen mich bedauernd an, als ich in der
Türöffnung auftauchte. »Woll’n Sie hier rein? Wir sind wohl ’n
bißchen spät dran, aber an der Rezeption harn sie gesagt, ihr
kämt nich’ vor drei Uhr.«
    »Ja, aber ich bin kein Gast.«
Die vollen Lippen verzogen sich zu einer bissigen Grimasse.
»Und woher kommen Sie? Vom Arbeitsamt?« Sie drängte sich
an mir vorbei in den Flur und bog nach rechts ab.
    Ich folgte ihr. »Nein, ich wollte eigentlich mit Annebeth
sprechen.«
Sie eilte weiter. »Die is’ krank!« sagte sie und verschwand
durch eine offene Tür.
Von der Türöffnung aus sah ich, wie sie die Schmutzwäsche in
einen großen Korb warf und mit flinken Händen anfing, von den
Regalen an den Wänden saubere herunterzuholen. »Ja, ist sie
denn im Krankenhaus?«
»Nein, sie ist zu Hause.«
»Aber dann müßte ich sie doch –«
»Aus dem Weg!« kommandierte sie. »Ich hab keine Zeit zu
verschwenden!«
Ich trat zur Seite und trabte hinter ihr her, zurück zu dem
Zimmer, aus dem sie gekommen war. Ohne mich anzusehen
fing sie an, das Bett zu beziehen.
»Es ist ziemlich wichtig.«
Sie hielt einen Moment mit der Arbeit inne, richtete sich im
Rücken auf, stemmte die Hände ins Kreuz und schnitt eine
Grimasse. »Und für wen? Sie haben noch gar nich’ gesagt, wie
Sie heißen.«
Ich lächelte entschuldigend. »Nein, tut mir leid, aber es ging
so schnell. Ich heiße Veum. Und vertrete die Versicherungsgesellschaft von Richter Brandt, und es geht nur um ein paar
Details bezüglich seines Todes, die wir …«
»Ob sich der Typ umgebracht hat, was?«
»Na ja …«
»Dann kriegt seine Olle wohl nichts, was?«
»Doch doch, die Regelung gilt nur für die ersten zwei Monate
nach der Vertragsunterzeichnung. Aber …«
Sie sah mich herausfordernd an. »Ja, ich kann Ihnen nich’
helfen!«
»Nicht einmal mit der Adresse von Annebeth?«
»Na ja –« Sie musterte mich mit dem handfesten, forschenden
Blick, der es gewohnt ist, Zudringlichkeiten von schlaftrunkenen
Handelsreisenden abzuwehren. »Wir teilen uns ’ne kleine
Wohnung in der Steinkjellergate.« Sie gab mir die Hausnummer
und die Etage.
Ich lächelte. »Dann sind wir fast Nachbarn.«
»Ich hoffe, das bedeutet nich’, daß wir Sie von jetzt ab ständig
abends vor der Tür rumhängen haben!«
»Haben Sie viele – solche?«
»Mir reicht’s, danke!« Mit einem Seufzer beugte sie sich
wieder über das Bett, aber nicht um ein Liebeslager herzurichten, weit eher eine Folterbank, ihrem Gesichtsausdruck nach zu
urteilen.
Ich machte mich aus dem Staub, bevor sie mich fragen konnte,
bei welcher Versicherungsgesellschaft Richter Brandt denn
gewesen sei, und ob ich mich nicht ausweisen könne.
    Die Steinkjellergate liegt am Ende der alten Einfallstraße, die
von Norden nach Bergen hereinführt. Die Brückenanlage war
erneuert worden, aber die Bebauung war immer noch historisch,
und auch die Steigung war dieselbe.
    Die Hausnummer, die ich bekommen hatte, befand sich im
schmalsten Teil der Straße. Die beiden Mädchen teilten eine
Wohnung im zweiten Stock hinter einem Türschild aus Pappe,
auf dem stand: Hier wohnt Gro Anita Vebjørnsen und Annebeth
Larsson. Die letzten drei Worte waren später und mit einem
anderen Stift hinzugefügt worden.
    Die Tür war neuer als das Haus und aus lackiertem Holz.
Links davon war ein schmales Fenster. Durch eine geriffelte
Scheibe konnte man vage das Licht vom Flur erkennen.
Ich drückte auf den weißen Knopf der schwarzen Klingel.
    Nach einer Weile hörte ich vorsichtige, tapsende Schritte, als
sei die Bewohnerin eine alte Frau. Dann wurde es still. Niemand
machte Anstalten, die Tür zu öffnen. Sie schien nur dazustehen
und zu warten, in der Hoffnung, daß der, der da geklingelt hatte,
wieder ginge.
    Aber ich hatte in meinem Leben auf zu viele Klingelknöpfe
gedrückt, um so leicht wieder zu gehen.
Dieses Mal bekam ich Antwort. »Wer ist da?« klang es dünn
durch die massive Tür.
»Ich heiße Veum. Ich komme von der Versicherung.«
Nach einer kurzen Drehpause klirrte es im Schloß, die Tür
wurde einen Spalt geöffnet und ein schmales Frauengesicht
schaute ängstlich zu mir heraus. »Worum

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