Die Schrift an der Wand
nicht, daß
wir ihn anzeigten. Sie traute sich nicht einmal, daran zu denken,
gegen ihn aussagen zu müssen. ›Er nimmt das Messer‹, erzählte
sie. ›Ein Mädchen, das gequatscht hat, hat er hier – und hier –
und hier aufgeschnitten!‹ Sie zeigte auf beide Wangen und dann
auf die Brüste.
Dann, eines Tages im Oktober 1973, suchte ich ihn persönlich
auf, an seinem Stammtisch ganz hinten im Ugla. Er forderte
mich auf, mit vor die Türe zu kommen, und wir gingen die Olav
Kyrres Gate hinauf in Richtung Nygårdshøyden. Wir gingen auf
den Hof vor der alten Villa, in dem sich das Musikkonservatorium befand, und plötzlich zog er das Messer. Aber ich war
vorbereitet und trat ihm gegen den Oberschenkel und drehte
seinen Arm auf den Rücken, so daß er die Waffe fallen lassen
mußte. Während ich das Messer wegkickte, hielt ich eine meiner
Reden: ›Ich kann dir den Arm brechen, Messer, oder ich kann es
lassen. Aber ich weiß alles, was es über dich zu wissen gibt, und
wenn du nicht verdammt noch mal deine dreckigen Pfoten von
Eva-Beate läßt, dann sag ich der Polizei alles, was ich weiß, und
schick einen Durchschlag an den Teufel höchstpersönlich.‹ Er
stöhnte: ›Und warum machste’s nich’?‹ Ich schraubte seinen
Arm noch ein Stückchen höher, ohne zu antworten. ›Hör auf!‹
stöhnte er schließlich. ›Ich laß sie in Ruh’!‹
Ich ließ ihn los, so daß er nach vorn taumelte, beugte mich
hinunter, hob sein Messer auf und steckte es in die Tasche. Er
sah mich an mit den Augen einer in die Enge getriebenen Ratte:
›Aber fühl dich verdammt noch mal bloß nich’ zu sicher, Veum!
Eines Tages krieg ich dich, und wenn das ganze Jugendamt
drumrumsteht und aufpaßt!‹ ›Warten wir’s ab‹, sagte ich, jung
und verwegen wie ich damals war.
Aber er war wie die meisten anderen in seinen Kreisen auch
nur ein Großmaul. Ich sah und hörte anderthalb Jahre nichts von
ihm.
In der Zwischenzeit ging es Eva-Beate besser, als alle es je
erwartet hatten. Sie ging wieder richtig in die Schule, bekam
endlich eine Pflegefamilie, in der sie sich wohl fühlte, verliebte
sich und hatte Liebeskummer, so wie das Leben für eine
Fünfzehnjährige eben sein sollte, obwohl sie wohl noch immer
etwas zu viele schlechte Erinnerungen hatte, um sich im
Freundeskreis ganz gehenzulassen. Ich selbst verfolgte ihre
Entwicklung mit Zufriedenheit, wie ein freundlicher Onkel am
Rande ihres Lebens, und ich führte sie mehrmals als Beispiel
dafür an, daß es doch gelingen konnte, wenn ich an Fällen
arbeitete, die mindestens genauso hoffnungslos aussahen, wie
ihrer ausgesehen hatte.
Dann plötzlich, am Ersten-Mai-Wochenende 1975, verschwand sie. Die Pflegefamilie war verzweifelt, ich ließ alles
stehen und liegen, setzte die Sauerstoffmaske auf und ging auf
Tieftauchgang in dem Milieu, in dem sie sich früher bewegt
hatte. Eines Tages begegnete ich Messer auf der Straße. Er
zeigte mir den Stinkefinger, mit unverhohlenem Triumph in den
Augen, aber als ich versuchte, ihn zu fassen zu bekommen,
machte er sich aus dem Staub.
Eine Woche nach ihrem Verschwinden erreichten uns die
ersten Gerüchte, daß sie wieder an der Nadel hinge und auf den
Strich ginge. Vierzehn Tage, nachdem sie die Pflegefamilie
verlassen hatte, fand ich sie.
Die Spuren führten zu einer kleinen Pension im Zentrum. Ich
kam, ohne es zu wissen, an einem Überwachungsposten der
Drogenpolizei vorbei, stieg in den zweiten Stock hinauf und
betrat einfach und ohne anzuklopfen ihr Zimmer.
Eva-Beate lag auf dem Rücken im Bett. Sie hatte die Beine
gespreizt und ihr Schoß klaffte wie das Maul eines Bluthundes.
Ihr Blick war jenseits von Gut und Böse, und auch in Messer
war nicht viel Leben, wie er da nur mit einem Slip bekleidet
neben ihr auf dem Bauch lag, den einen Arm wie eine verwachsene, bleich-feiste Raupe über ihren kleinen Brüsten.
Als ich zur Tür hereinkam, drehte er sich mit verschlafenem
Gesicht herum. Als er die Beine auf den Boden schwang und
sich nach dem Messer streckte, das auf dem Nachttisch lag,
setzte Eva-Beate sich verwirrt im Bett auf und griff nach ihm,
als sei sie mitten in einem Alptraum und wüßte noch nicht, ob
sie schlief oder wach war.
Zuerst plazierte ich mein Knie in seinem Gesicht, und diesmal
brach ich ihm wirklich den Arm. Ich zog ihn aus dem Bett und
auf den Boden und trat auf ihn ein, bis ich Schritte auf der
Treppe hörte und die beiden Polizisten von der Drogenfahndung
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