Die Schrift an der Wand
die Zuhälterei mit Dealen verband. Er
war sowohl Henne als auch Ei, sozusagen.«
»In dem Fall hat er es geschafft, nicht erwischt zu werden.«
Muus drehte die Karte um. »Aber Sie meinen, er könnte
wieder in Bergen sein?«
»Darüber steht da also nichts?«
»Nein, aber wir registrieren hier ja auch nicht alles, wissen
Sie.« Er nickte. »Aber er hat Familie hier in der Stadt, wie ich
sehe.«
»Ach ja?«
»Einen Sohn. Ole Hopsland, geboren 1971. Und dann hat er
noch zwei Brüder, das heißt, Halbbrüder müßten es wohl sein.
Auch von derselben Sorte. Die Persen-Brüder.«
Ich beugte mich abrupt nach vorn. » Persen?! «
»Ja, kennen Sie sie?«
»Nein, aber ich habe gerade …«
»Sie haben sich die letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre im
halbkriminellen Milieu hier bewegt. Kalle arbeitet im …« Er
hielt einen Augenblick inne. »Genau. Im Jimmy. «
»Eben.«
»Kenneth hat wohl nie einen ordentlichen Job gehabt, denke
ich. Arbeitssuchend, ist das nicht der moderne Ausdruck dafür,
damit wir sozusagen vergessen, daß sie -los sind, und daß einige
das den Rest ihres Lebens sein werden …«
»Ihn habe ich übrigens auch getroffen, im Zusammenhang mit
diesem Fall.«
»Haben Sie?«
»Ja. Zu Hause bei einem der Mädchen, die ihr sicher als
Zeugen vernommen habt. Astrid Nikolaisen.«
»Das ist möglich. Jensen hat sich um die jungen Mädchen
gekümmert.«
»Abgesehen davon, daß sie seit Sonntag nicht mehr zu Hause
aufgekreuzt ist.«
Er runzelte die Stirn. »Nicht aufgekreuzt, sagen Sie?«
»Ja, ich … Aber alles deutet darauf hin, daß sie mit Kenneth
Persen zusammen ist.«
»Großer Gott. Jaja, ich werde wohl Jensen darauf ansetzen,
das zu überprüfen.«
»Ich kann euch zeigen, wo sie wohnt.«
»Es reicht, wenn Sie uns die Adresse geben, Veum.«
»Sicher?«
»Wie das Amen in der Kirche?«
Ich gab ihm die Adresse in Nedre Nygård. Nachdem er sie
aufgeschrieben hatte, sah er schräg zu mir auf. »Was war das
eigentlich mit Ihnen und dem Messer damals, Veum? Irgendwas
mit einem Mädchen, oder?«
30
Ich parkte direkt vor der Nattland-Schule. Es waren noch zehn
Minuten bis zum Klingeln nach der letzten Stunde.
Ja, es war irgend etwas mit einem Mädchen gewesen. Aber
nicht so, wie Dankert Muus es immer gerne dargestellt hatte.
In den Jahren, in denen ich beim Jugendamt arbeitete, hatten
zwei Fälle mich besonders beschäftigt. Der eine war Siren,
Karin Bjørges Schwester. Der andere war Eva-Beate.
Um Siren hatte ich mir nicht viele Sorgen gemacht. Sie kam
aus einer Familie, die sie liebte, und hatte eine Schwester, die
ein paar ihrer besten Jugendjahre opferte, um sich um sie zu
kümmern. Daß es schließlich so kam, wie es kam, daran trugen
weder die Familie noch die Schwester eine Schuld.
Mit Eva-Beate war es anders gewesen. Sie war ein Heimkind.
Ihre Mutter war drogensüchtig gewesen und hatte sich das
Leben genommen, als die Tochter gerade erst drei Jahre alt war,
und ich habe nie wirklich herausbekommen, ob sie sich an diese
erste, chaotische Phase ihres Lebens erinnern konnte. Der Vater
gehörte zur Familie Unbekannt. Er war nicht einmal ein Name
beim Einwohnermeldeamt. Die Versuche, sie bei Pflegeeltern
unterzubringen, waren mißglückt. Sie lief jedes Mal weg. Der
einzige Ort, an dem sie sich einigermaßen zu Hause fühlte, war
das Kinderheim. Das ging gut, solange die alte Heimleiterin
noch da war. Als sie pensioniert wurde, kamen neue Kräfte ans
Ruder. Sie setzten darauf, Eva-Beate Möglichkeiten zu verschaffen, die sie früher nicht gehabt hatte, und versuchten, sie in die
Schule und zu berufsvorbereitenden Kursen zu zwingen. Aber
da war das Weglaufen zu so was wie einem Lebensstil für sie
geworden. Sie war eines dieser verzweifelten Kinder, die nichts
mehr halten konnte, die dem Licht auswichen, wo sie nur
konnten, und die von Dunkelheit angezogen wurden, wo immer
sie zu finden war.
Am Anfang war sie nur eines der bekannten Gesichter, die
immer auftauchten, wenn wir durch abbruchreife Häuser gingen,
auf der Jagd nach anderen. Eine von denen, die immer wieder
eingefangen wurden, wenn die Polizei ihre Razzien in der
Drogenszene machte. Dann entwickelte sich plötzlich eine Art
Beziehung zwischen uns, als würde ich sie an irgend jemanden
erinnern. Ich lud sie bei mir zu Hause zum Essen ein. Zusammen mit einer Kollegin machten wir Wanderungen im Fjell.
Langsam, aber sicher zogen wir sie weg vom Drogenmilieu und
fanden heraus, wer ihr Zuhälter war. Aber sie wollte
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