Die Schrift an der Wand
hereingestürmt kamen und den Polizeiangriff anwenden mußten,
um mich zu beruhigen.
Da lag Messer scheinbar leblos vor mir auf dem Boden, während Eva-Beate in dieselbe Stellung zurückgesunken war, in der
ich sie vorgefunden hatte, mit einem Schoß wie ein geschlachtetes Hühnchen.
Und dann hieß es, wieder von vorn anfangen, ganz vom Fuß
des Berges. Aber dieses Mal waren es andere, die ihr halfen.
Das Jugendamt hat mich nie gefeuert. Aber einige Personen in
zentralen Positionen legten mir nahe, meine Beurlaubung zu
beantragen, ›solange ich wollte‹, und ich verstand den Wink und
kam nie mehr zurück.
Im Herbst desselben Jahres eröffnete ich mein Büro am
Strandkai. Eva-Beate erging es schlechter. Sie starb an einer
Überdosis in einer Wohnung in Møhlenpris ein paar Jahre
später, ohne jemals wieder ganz clean geworden zu sein.
Und jetzt saß ich hier, fast zehn Jahre später, und wartete auf
ein anderes Mädchen in einer nicht ganz so dramatischen
Lebenssituation. Aber auch Åsa balancierte am Abgrund
entlang, fürchtete ich.
Die Schulglocke läutete, und es dauerte kaum ein paar Sekunden, dann strömten die Schüler aus dem flachen Gebäude. Ich
stieg aus dem Wagen und stellte mich daneben, damit sie mich
sah.
Sie kam in einer kleinen Gruppe, aber trotzdem wirkte sie
einsam und niedergeschlagen. Als sie mich entdeckte, schien sie
fast erleichtert darüber, eine Entschuldigung zu haben, sich
abzusetzen. Außerdem reagierte auch keiner der anderen
sichtbar, als sie sich verabschiedete.
»Hei, Åsa«, sagte ich.
Sie runzelte die Brauen. »Hat Papa Sie geschickt?«
»Nei-nein. Warum sollte er?«
»Er hat mich, seit – seit Torild verschwunden ist, jeden Tag
von der Schule abgeholt.« Sie warf einen Blick auf die Uhr.
»Dann hat er sich sicher nur ein bißchen verspätet.«
»Ich wollte dir nur ein paar Fragen stellen. Wollen wir uns ins
Auto setzen?«
Sie sah den Merkurvei hinauf. »Wir können genausogut hier
stehen bleiben.«
»Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben …«
»Ja?«
»Da warst du nicht ganz ehrlich, oder?«
»Klar war ich das!«
»Es ist viel passiert seitdem, Åsa. Du mußt jetzt nichts mehr
verheimlichen.«
»Was sollte das denn sein?«
Ich wies mit einem Nicken auf ihre neue, rostrote Jacke. »Dein
Vater wußte, daß du kein Geld hattest, um eine Jacke zu kaufen
wie die, die ihr dann zurückgegeben habt. Und in dem Laden
zeigte sich, daß sie noch nicht einmal gestohlen war. Kein
Wunder, daß er hierher kommt und dich abholt.«
Sie sah weg.
»Woher hattest du das Geld, Åsa?«
Sie antwortete nicht.
Ich trat einen Schritt näher. »Ist dir klar, was du da mit dir tust,
Åsa? Mit deiner Jugend?«
Sie wandte mir ihr Gesicht wieder zu und sah mich frech an.
»Es sind solche wie du, die hinter ihr her sind!«
»Solche wie …«
»Ja, ich hab wohl gemerkt, wie du mich angesehen hast!«
»Ich sehe auf deine Jacke, Åsa!«
»Na, dann fandest du die Jacke aber verdammt spannend,
stimmt’s?«
»Hör lieber zu, was ich dir sage, Åsa! Torild und du, ihr wart
zusammen mit Helge Hagavik an dem Donnerstag, als sie nicht
nach Hause kam, stimmt’s?«
»Na und? Ich bin früh nach Hause gegangen, hab ich doch
gesagt!«
»Dann war es also tatsächlich Helge Hagavik?«
»Ja, ich …« Plötzlich verschloß sich ihr Gesicht wieder.
Scheiße! murmelte sie stumm.
Oben im Merkurvei hörte man einen Automotor auf Hochtouren: Irgend jemand hatte es in den viel zu scharfen Kurven
furchtbar eilig. Dann kam er in Sicht. Der weiße Mercedes bog
zur Schule ein und glitt ganz an das Hinterteil meines Toyotas
heran. Trond Furubø zog die Handbremse an, und die Tür
öffnen und neben uns stehen war eine einzige Bewegung.
»Was zum Teufel tun Sie hier, Veum?« Ohne eine Antwort
abzuwarten, drehte er sich zu Åsa um. »Ich bin fünf Minuten
länger aufgehalten worden. Tut mir leid. Ich hatte es versprochen.«
Sie betrachtete ihn mit einem Blick, der mit größtmöglicher
Deutlichkeit ausdrückte, daß es genau das war, was Eltern am
besten konnten: Versprechen nicht einhalten.
Er wandte sich wieder an mich. »Ich hab Sie was gefragt!«
»Sie haben mir keine Chance gegeben, zu antworten.«
»Er hat mir einen Vorschlag gemacht, Papa«, sagte Åsa
schlagfertig.
Ich starrte sie …
»Vorschlag?! Du meinst –«
… gerade lange genug an, daß er seinen ersten, impulsiven
Schlag direkt auf meinem Kiefer plazieren konnte.
Ich taumelte rückwärts. Es knisterte in meinem Kopf,
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