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Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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sie an den Schenkel wie einen alten Freund, obwohl ich mir nicht erklären konnte, warum ich das tat.
    Jetzt war es nicht mehr weit bis zu der verlassenen Kirche. Der Regen hatte nachgelassen, und durch einen Riss in den Wolken fiel milchiger Mondschein, wie schmutzig grüner Dunst, der durch das Unwetter aus dem Golf gesogen worden war. Ich rieb mir mit dem Handrücken die Augen, bis ich lauter rote Ringe sah, und mit einem Mal fühlte ich mich geradezu beunruhigend klar im Kopf, wie ich es den ganzen Tag lang nicht erlebt hatte, als ob all die Gedanken, die ich seit Wochen gewälzt hatte, meine Gebete, meine persönlichen Vorsätze und die Beichten bei den Zusammenkünften der Anonymen Alkoholiker null und nichtig geworden wären, weil sie mir nicht mehr weiterhalfen.
    Sigmund Freud soll einmal gesagt haben: »Ah, danke, dass Sie mir die hohen Ideale der Menschheit gezeigt haben. Jetzt will ich Sie mit dem Unterbau bekannt machen.«
    Ich spürte förmlich, wie ich in diese tiefen Kammern des Bewusstseins hinabstieg, wo sich die Greife und Basilisken tummeln. Die Verdachtsmomente, die im Mordfall Linda Zeroski gegen Marvin Oates sprachen, waren eher dürftig und beruhten größtenteils auf Mutmaßungen, ohne dass wir sie auch nur durch Indizien untermauern könnten, sagte ich mir. Selbst wenn Marvin Clete und Zerelda etwas angetan haben und im Besitz der Neunmillimeter sein sollte, mit der Frankie Dogs umgebracht wurde, brauchte er nur den richtigen Verteidiger, der ihn in den Zeugenstand rief, ihn seinen verbrannten Rücken vorzeigen und mit seinem niedlich-nuschligen Akzent in eigener Sache aussagen ließ, und schon wischten sich die Geschworenen die Tränen von den Wangen.
    Genau das sagte ich mir, als ich über Marvin Oates’ Zukunft nachdachte. Aber meine Gedanken galten hauptsächlich Legion Guidry und den Frauen, die er belästigt und vergewaltigt hatte, und den Schlägen, die er mir verpasst hatte. Einmal mehr sah ich sein Gesicht vor mir, als er sich herabbeugte, mich an den Haaren packte, mir die Lippen auf den Mund drückte, die Zunge hineinschob. Und wieder meinte ich schwören zu können, dass ich seinen Speichel schmeckte, den Tabak und die feinen Fasern fauligen Fleisches, die in seinen Zähnen hingen.
    Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte. Ich kurbelte das Fenster herunter, räusperte mich und spuckte hinaus in die Dunkelheit. Als ich das Fenster wieder hochkurbelte, bemerkte ich, dass der ehemalige Soldat, der sich Sal Angelo nannte, wach war und mich betrachtete.
    »Der Typ, der Ihnen Gewalt angetan hat, ist hier unten, nicht wahr?«, sagte er.
    »Welcher Typ?«, fragte ich.
    »Wir beide wissen genau, welcher Typ, Lieutenant.«
    »Kann man nie sagen«, erwiderte ich.
    »Können Sie sich noch dran erinnern, wie ich Ihnen gesagt habe, was aus einem wird, wenn man jemand umbringt? Es ist, als ob die Seele den Körper verlässt und nicht mehr zurückfindet. Man vergisst dann, wer man ist.«
    »Möglicherweise muss ich Sie irgendwo absetzen, Sal, und auf dem Rückweg wieder abholen«, sagte ich.
    »So was will ich nicht hören, Lieutenant.«
    »Warum nicht?«, fragte ich.
    »Weil unsere Geschichte bereits geschrieben ist. Sie können nichts mehr dran ändern«, sagte er.
    Ich geriet in eine tiefe Spurrille, sodass ein grauer Wasserschwall über die Windschutzscheibe spritzte. Ich schaute zum Beifahrersitz und sah, wie er den Kopf hob und die Augen aufschlug, als wäre er gerade aus tiefstem Schlaf erwacht.
    »Was haben Sie eben gesagt?«, fragte ich.
    »Ich hab gar nichts gesagt. Ich war weggeknackt. Wo sind wir überhaupt?«, erwiderte er.

31
    Während Zerelda den Cadillac steuerte, saß Marvin vornübergebeugt auf dem Beifahrersitz, schwitzend und angespannt, leckte sich ständig die Lippen, atmete durch die Nase – wie ein verängstigtes Kind, dachte sie – und hatte eine Neunmillimeter-Beretta auf dem Oberschenkel liegen.
    »Du hast da hinten den Blinker nicht benutzt. Du musst den Blinker betätigen, Zerelda«, sagte er.
    Sie betrachtete die vorüberhuschende Landschaft, die Kühe, die sich in den Bachläufen zusammendrängten, einen Blitz, der in den Wolken flackerte. Sie spürte, wie sich Clete im Kofferraum herumwälzte. Es war das erste Mal, dass er sich bewegte, seit Marvin ihn dazu gezwungen hatte, sich in den Kofferraum zu setzen, und dann ein dickes Stahlrohr ergriffen hatte.
    »Ich muss mal auf die Toilette«, sagte sie.
    »Dazu ist später noch Zeit«, sagte Marvin.
    Sie

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