Die Schuld des Tages an die Nacht
die Eingeweide, krallt sich fest in deinem Hirn, ergreift Besitz von dir wie ein Djinn. Wie konnte das geschehen? Was hatte mich dazu gebracht, eine solche Abscheu gegenüber einer Frau zu entwickeln, die mir doch nichts mehr bedeutete? Wenn man keinen Ausweg aus seinem Unglück findet, sucht man nach einem Schuldigen. Und was mich betraf, war Madame Cazenave der ideale Sündenbock. Hatte sie mich nicht verführt und dann fallen lassen? War nicht dieser einmalige Ausrutscher der Grund, weshalb ich auf Émilie verzichten musste?
Émilie!
Ich musste nur an sie denken, schon verging ich vor Wehmut …
Der Kellner brachte ein Körbchen Weißbrot und einen Salat mit schwarzen Oliven und Cornichons. Simon dankte ihm, bat eindringlich, man möge ihm die Lammspießchen schnellstmöglich servieren, da er ein Geschäftstreffen habe, dann, nach zwei oder drei schmatzenden Bissen, beugte er sich über seinen Teller und raunte mir zu, als fürchte er, man könne ihn hören:
»Du fragst dich bestimmt, warum ich so schrecklich aufgeregt bin? Kannst du für dich behalten, was ich dir sagen werde? Du weißt, wie die Leute bei uns sind, ihr böser Blick …«
Meine Teilnahmslosigkeit kühlte seinen Enthusiasmus merklich ab. Er runzelte die Stirn:
»Du verbirgst doch etwas vor mir, Jonas. Etwas Schwerwiegendes.«
»Es ist nur, weil mein Onkel …«
»Du bist sicher, dass du nicht böse auf mich bist?«
»Warum sollte ich dir denn böse sein?«
»Na ja, ich schicke mich an, dir eine phantastische Neuigkeit mitzuteilen, und du machst ein Gesicht, das einen Vulkan gefrieren lassen könnte.«
»Na, dann schieß mal los. Vielleicht heitert es mich ja auf.«
»Daswill ich doch hoffen, also: Madame Cazenave hat mir die Hand ihrer Tochter angetragen, und ich habe ja gesagt … Aber behalt es für dich, es ist noch nicht offiziell.«
Das saß!
Meinem Spiegelbild in der Scheibe war nichts anzumerken, aber innerlich hatte ich mich aufgelöst.
Simon schwamm förmlich im Glück – er, der Émilie Schwarze Witwe, Flittchen, Aufreißerin genannt hatte! Ich hörte nicht mehr, was er mir erzählte, sah nur seine strahlenden Augen, seinen lachenden, vom Olivenöl glänzenden Mund, seine Hände, die das Brot brachen, die Serviette zerknüllten, zwischen Gabel und Messer schwankten, und seine Schultern, die freudig bebten … Er verschlang seine Spießchen, schüttete seinen Kaffee hinunter, rauchte seine Zigarette und redete in einem fort … Dann stand er auf, sagte noch etwas, das im Dauerpfeifen meiner Ohren unterging … Zog sich im Gehen den Mantel an, winkte mir auf der Straße noch einmal zu und verschwand …
Ich blieb wie festgewachsen am Tisch sitzen, im Kopf ein Vakuum. Erst als der Kellner kam und mir sagte, dass das Restaurant jetzt schließe, kam ich wieder zu mir.
Simons Projekt blieb nicht lange geheim. Nach einigen Wochen waren seine verborgenen Aktivitäten allseits bekannt. In Río Salado grüßten ihn die Leute gutgelaunt, wenn er im Wagen vorüberfuhr, riefen ihm fröhlich »Verflixter Glückspilz!« zu. Die Mädchen gratulierten Émilie in aller Öffentlichkeit. Die einen zerrissen sich das Maul, Madame Cazenave habe ihre Tochter verschachert; den anderen lief in Vorfreude auf die Gelage, die der Auserwählte seiner Holden zu offerieren versprach, das Wasser im Munde zusammen.
Der Herbst schlich auf leisen Sohlen davon, ein ausnehmend rauer Winter folgte ihm nach. Der Frühling verhieß einen extrem heißen Sommer und bedeckte die Ebenen mit leuchtendem Grün. Die Familien Cazenave und Benyamin beschlossen, dieVerlobung ihrer Kinder im Mai zu feiern und die Hochzeit zu Beginn der ersten Weinlese.
Einige Tage vor der Verlobung, als ich gerade das Außenrollo herunterlassen wollte, schob Émilie mich wieder in die Apotheke hinein. Sie war wie eine Diebin die Mauern entlanggehuscht, um neugierigen Blicken zu entgehen. Sie war verkleidet und trug ein Kopftuch nach Art der Landfrauen, ein gewöhnliches graues Kleid und flache Schuhe.
Sie war außer sich und duzte mich:
»Ich nehme an, du bist auf dem Laufenden. Meine Mutter steckt dahinter. Sie will unbedingt, dass ich Simon heirate. Ich habe keine Ahnung, wie sie es geschafft hat, mich zu überreden, aber es ist noch nichts besiegelt … Es hängt alles nur von dir ab, Younes.«
Sie war bleich und abgemagert, ihr Blick war trüb und hatte seine Macht eingebüßt.
Sie ergriff meine Handgelenke und zog mich, am ganzen Leib zitternd, mit einem Ruck zu sich:
»Sag
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