Die Schuld des Tages an die Nacht
Crème Orans, unter anderem der Schriftsteller Emmanuel Roblès. Gefeiert wurde in Aïn Turck, in einem weitläufigen Anwesen direkt am Meer, das einem reichen Industriellen gehörte, der Madame Scamaroni sehr nahestand. Ich fühlte mich höchst unwohl bei diesem Fest. Émilie war da, am Arm von Simon. Madame Cazenave war ebenfalls da, sie wirkte etwas verloren. Das Geschäft, das sie mit Simon aufgezogen hatte, florierte; ihr Modehaus kleidete bereits die reichsten Leute von Río Salado und Hammam Bouhdjar ein und setzte sich trotz einer erbitterten Konkurrenz zunehmend in der Schickeria von Oran durch. Bei einem kleinen Gerangel am Buffet trat mir Simon auf den Fuß. Ohne sich zu entschuldigen, hielt er im Gedränge Ausschau nach Émilie und steuerte mit seinem Tablett in Händen geradewegs auf sie zu. Was hatte sie ihm über mich erzählt? Warum tat mein bester und ältester Freund so, als sei ich Luft?
Ich war zu erschöpft, um ihn zur Rede zu stellen.
Der zweite Akt war die Hochzeit auf dem Dorfe. Río Salado legte Wert darauf, die Hochzeit seines Wunderkindes in handverlesener Runde zu feiern. Pépé Rucillio spendierte fünfzig Hammel und ließ die besten Méchoui-Köche aus Sebdou kommen. Jaime Jiménez Sosa, der Vater von André, stellte den Scamaronis den riesigen Palmengarten seines Landguts zur Verfügung, der mit Seidenbehängen, Girlanden, Diwanen und langen Buffettischen, die sich unter Viktualien und Blumen schmuckbogen, ausstaffiert wurde. In der Mitte wurde ein riesiges Festzelt errichtet, das man mit Teppichen und Kissen auslegte. Die Dienstboten, mehrheitlich Araber und junge schwarze Epheben, trugen Eunuchenkostüme mit Stickweste und Pluderhose sowie safrangelbe Turbane, die vor Stärke glänzten. Ein Anblick wie aus Tausend und einer Nacht . Und wieder fühlte ich mich absolut unwohl. Émilie hing fortwährend an Simons Arm, und Madame Cazenave belauerte mich, sie befürchtete wohl eine Eifersuchtsszene. Am Abend wurde die Gästeschar von einem renommierten jüdisch-arabischen Orchester, das eigens aus Constantine angereist war, der mythischen Stadt in der Schwebe zwischen Himmel und Erde, mit einem überwältigenden Repertoire beglückt. Ich saß fern der anderen auf einer Getränkekiste unter einer matten Funzel und hörte nur mit halbem Ohr hin. Als Djelloul mir einen Teller Gegrilltes brachte, flüsterte er mir zu, die schlechte Laune, die mir so deutlich anzusehen war, mache alle Freude der Erde zunichte. Da erst merkte ich, wie trübselig ich war, und ich wäre wohl besser nach Hause gegangen, statt hier auszuharren und Hunderten geladener Gäste die Festtagsfreude zu vermiesen. Aber das konnte ich mir nicht leisten. Fabrice hätte es mir übelgenommen, und ich wollte ihn nicht auch noch verlieren.
Nachdem Jean-Christophe verschwunden, Fabrice verheiratet und Simon so gut wie unerreichbar war, seit er sich mit Madame Cazenave zusammengetan hatte, entvölkerte sich meine Welt. Ich stand in aller Frühe auf, schloss mich tagsüber in der Apotheke ein, doch abends, wenn ich das Eisenrollo herabgelassen hatte, wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Anfangs ging ich zu André in die Snackbar und spielte drei, vier Partien Billard mit José, dann kehrte ich heim und traute mich hinterher, nach Einbruch der Dunkelheit, nicht mehr auf die Straße hinaus. Ich verzog mich auf mein Zimmer, nahm ein Buch zur Hand und las mehrmals hintereinander dasselbe Kapitel, ohne zu verstehen, was ich da las. Ich konnte micheinfach nicht konzentrieren. Noch nicht einmal bei meinen Kunden. Unzählige Male hatte ich das Gekritzel der Ärzte auf einem Rezept falsch entziffert und statt des einen das andere Medikament verkauft, hatte minutenlang vor den Regalen gestanden, außerstande, mich zu erinnern, wo ich dieses oder jenes eingeräumt hatte. Bei Tisch zwickte mich Germaine regelmäßig ins Bein, um mich meinen Träumen zu entreißen. Ich war so fahrig, dass ich sogar zu essen vergaß. Mein Onkel hatte Mitleid mit mir, aber er blieb stumm.
Dann überstürzten sich die Ereignisse. Und da ich zu lasch war, Schritt zu halten, hängten sie mich am Ende ab. Fabrice bekam sein erstes Kind, einen goldigen rosigen pausbäckigen Fratz, und zog mit Hélène nach Oran. Seine Mutter verkaufte wenig später ihren Besitz in Río und zog nach Aïn Turck. Wenn ich an ihrem stummen, verschlossenen Haus vorbeikam, musste ich unwillkürlich schlucken. Es war ein Stück meines Lebens, das nicht mehr auffindbar war,
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