Die Schuld des Tages an die Nacht
Krankenpfleger, mich im Auge zu behalten, und verfügte sich eilends zu seinem Verwundeten. Der Krankenpfleger fragte mich, ob es etwas zu essen gebe. Ich zeigte ihm Kühlschrank und Speisekammer. Er forderte mich auf, mich ans Fenster zu stellen und ja keine Tricks zu versuchen. Ein kleiner schmächtiger Kerl, ein Jugendlicher noch, mit hochrotem Kopf und flaumbesetzter Oberlippe. Er trug einen löchrigen, viel zu weiten Pullover, eine Jagdhose, die an der Taille von einer Hanfkordel zusammengehalten wurde und riesige, grotesk wirkende Boots, in denen er wie der Gestiefelte Kater aussah. Er ging nicht an den Kühlschrank, sondern begnügte sich damit, die Essensreste auf dem Tisch zu verschlingen.
Djelloul rief nach mir. Der Krankenpfleger entließ mich mit einer Handbewegung und sah mir nach, bis ich im Korridor verschwunden war. Germaine saß erschöpft im Sessel, mit schweißnassem Oberteil, und atmete heftig. Der Verletzte lag noch auf dem Tisch, den nackten Oberkörper in einem Verband. Sein Keuchen durchbrach die Stille im Raum. Djelloul tauchte eine Kompresse in eine Schüssel mit Wasser und betupfte ihm die Stirn. In seinen Gesten lag großer Respekt.
»Wir werden ein paar Tage bei euch bleiben, so lange, bis der Capitaine wieder bei Kräften ist«, erklärte er mir. »Morgen früh öffnet ihr ganz normal die Apotheke und ändert nichts an euren Gewohnheiten. Madame wird bei uns im Obergeschoss bleiben. Die Einkäufe erledigst du. Du kommst und gehst, wie du willst. Ich muss dir ja nicht sagen, was passiert, wenn ich die geringste Unstimmigkeit entdecke. Wir bitten euch um weiter nichts als eure Gastfreundschaft, du verstehst? Wenn ich dir schon mal die Gelegenheit biete, der Sache deines Volkes zu dienen, dann versuch wenigstens, dich dessen würdig zu erweisen.«
»Ich kann mich ebenso gut um die Apotheke und die Einkäufe kümmern«, erbot sich Germaine.
»Mirist es lieber, wenn er das macht … Einverstanden, Jonas?«
»Was beweist mir, dass ihr uns am Leben lasst, wenn ihr geht?«
»Es ist wirklich zum Verzweifeln mit dir, Jonas.«
»Ich vertraue Ihnen schon«, schaltete Germaine sich ein.
Djelloul lächelte. Es war dasselbe Lächeln, mit dem er mich früher schon bedacht hatte, damals, hinter dem Hügel mit den beiden Marabouts, auf dem Weg zu seiner Hütte: diese Mischung aus Mitleid und verächtlichem Grinsen. Er zog einen kleinen Revolver aus der Hosentasche und drückte ihn mir in die Hand.
»Er ist geladen. Du brauchst nur abzudrücken.«
Das Metall war so eisig, dass es mir kalt über den Rücken lief.
Germaine wurde ganz grün um die Nase. Fast hätte sie ihr Kleid zerrissen, so fest waren ihre Finger darin verkrallt.
»Soll ich dir mal was sagen, Jonas? Du tust mir leid. Man muss schon ein kläglicher Wicht sein, um den Hauch der Geschichte so wenig zu spüren.«
Er nahm mir den Revolver ab und steckte ihn wieder ein.
Der Verwundete röchelte und bewegte sich kurz. Er mochte mein Alter haben, vielleicht ein paar Jahre mehr. Er war blond, ziemlich hochgewachsen, hatte feine, sich deutlich abzeichnende Muskeln. Ein rötlicher Bart verbarg seine Gesichtszüge. Er hatte dichte Augenbrauen, eine tiefe Stirnfurche und eine messerscharfe Hakennase. Und wieder rührte er sich, streckte ein Bein aus. Beim Versuch, sich zur Seite zu drehen, entfuhr ihm ein Schmerzensschrei, und er wachte auf. Als er die Augen öffnete, erkannte ich ihn auf Anhieb, all den Jahren zum Trotz, die seinem Äußeren arg zugesetzt hatten: Ouari …! Es war Ouari, mein einstiger »Partner« aus Djenane Djato, der mich die Kunst des Fallenstellens gelehrt hatte und die Stieglitzjagd. Er war vor der Zeit gealtert, aber sein Blick war derselbe: düster, eiskalt, undurchdringlich. Ein Blick, den ich niemals vergessen würde.
Ouaritauchte aus tiefer Bewusstlosigkeit auf, und da ihm mein Gesicht nicht vertraut erschien, packte er mich in einem Reflex der Selbstverteidigung am Hals, zog mich mit aller Kraft zu sich herunter und versuchte aufzustehen, was ihm offenbar heftige Schmerzen bescherte.
»Du bist hier in Sicherheit, Sy Rachid«, murmelte Djelloul ihm zu.
Ouari schien nicht zu begreifen. Er musterte seinen Waffengefährten, brauchte eine Weile, um ihn einzuordnen, und fuhr dabei fort, mir den Hals zuzudrücken. Germaine eilte mir zu Hilfe. Djelloul herrschte sie an, sie solle an ihren Platz zurückkehren, und erklärte seinem Offizier mit sanfter Stimme die Situation. Die Finger wollten ihren Griff um meinen
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