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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Pistole von meinem Nacken und schubste mich ins Wohnzimmer.
    »Danke, Kleiner«, sagte Djelloul zu ihm. »Gut gemacht. Hau jetzt ab.«
    »Soll ich in der Nähe bleiben?«
    »Nein. Kehr zurück. Du weißt schon wohin.«
    Der Junge verabschiedete sich mit militärischem Gruß und verschwand.
    Djelloul zwinkerte mir zu:
    »Geht’s dir gut?«
    Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte.
    »Los, mach dich nützlich. Geh die Tür verriegeln.«
    Germaine warf mir einen flehentlichen Blick zu. Diesmal war sie richtig bleich geworden, und ihr Gesichtsausdruck verriet eine verspätete, aber umso heftigere Bestürzung. Ich ging hinunter und schob die Riegel wieder vor. Als ich zurückkam, war Djelloul gerade dabei, den Körper auf dem Tisch aus einer alten blutverschmierten Kommandojacke zu befreien.
    »Wenn er stirbt, wirst du ihn ins Jenseits begleiten«, drohte er mir seelenruhig. »Dieser Mann da ist wertvoller als mein Leben. Er hat bei einem Schusswechsel mit den Gendarmen eine Kugel abbekommen. Reg dich nicht auf, das war ganz weit weg von hier. Ich habe ihn zu dir gebracht, damit du ihn von diesem blöden Stück Blech, das ihm unter der Haut steckt, befreist.«
    »Womit denn? Ich bin doch kein Chirurg.«
    »Du bist doch Doktor, oder nicht?«
    »Apotheker.«
    »Ist mir egal. Dein Leben hängt von seinem ab. Ich habe doch nicht den ganzen Weg auf mich genommen, damit er mir hier unter den Händen krepiert.«
    Germaine hielt mich am Arm zurück.
    »Lass mich ihn abhören.«
    »Dasist mal ein vernünftiger Vorschlag«, kommentierte Djelloul.
    Germaine beugte sich über den Verwundeten und entfernte behutsam sein blutverschmiertes Hemd. Die Einschussstelle befand sich oberhalb der linken Brust und war von einer ockerfarbenen, geronnenen Schicht bedeckt. Es war eine sehr heikle, hässliche Wunde.
    »Er hat viel Blut verloren.«
    »Dann lasst uns keine Zeit verlieren«, entschied Djelloul. »Laoufi«, bemerkte er, an seinen Gefährten gewandt, »du gehst der Dame zur Hand.« An mich gerichtet, fügte er hinzu: »Laoufi ist unser Krankenpfleger. Geh mit ihm nach unten in die Apotheke und holt alles Nötige, um den Capitaine zu operieren. Hast du was zum Desinfizieren der Wunde? Und das nötige Werkzeug, um die Kugel herauszuholen?«
    »Ich kümmere mich schon darum«, erklärte Germaine. »Jonas kann ich dabei nicht gebrauchen. Und wenn ich bitten darf, keine Waffen in meinem Wohnzimmer. Ich muss angstfrei arbeiten können … Ihr Krankenpfleger kann bleiben. Aber Sie und mein Sohn …«
    »Das ist genau das, was mir vorschwebte, Madame.«
    Germaine versuchte, mich aus der Gefahrenzone herauszubugsieren. Ich merkte, dass sie überirdische Anstrengungen unternahm, um die Ruhe zu bewahren, und meine Anwesenheit sie nur störte. Ich fragte mich, wie sie es schaffen wollte, da wieder herauszukommen. Sie hatte im Leben noch nie ein Skalpell angerührt. Was hatte sie vor? Und wenn der Verwundete nun starb? Ihr ausdrucksloser Blick drängte mich hinaus, wollte mich um jeden Preis möglichst weit weg vom Wohnzimmer haben. Er übermittelte mir Botschaften, die ich nicht zu entschlüsseln vermochte. Sie hatte Angst um mich, das war offensichtlich, schob sich in den Vordergrund, damit ich verschont bliebe. Später würde sie mir gestehen, sie hätte selbst einen Toten wieder zum Leben erweckt, nur um meinen Kopf zu retten.
    »Ihrkönnt in die Küche gehen und euch stärken. Ich fühle mich wohler, wenn ich euch nicht im Nacken habe.«
    Djelloul nickte zustimmend. Ich führte ihn in die Küche; er öffnete den Kühlschrank, holte einen Teller voll gekochter Kartoffeln, Käse, Räucherfleischscheiben, etwas Obst und eine Flasche Milch heraus und stellte alles auf den Tisch, gleich neben sein Maschinengewehr.
    »Ist auch Brot da?«
    »Rechts von dir. In der Speisekammer.«
    Er nahm sich eine große Baguette, fläzte sich auf einen Stuhl und biss kräftig hinein. Er aß mit unglaublicher Gier, stopfte wahllos Obst und Käse, Kartoffeln und Fleisch in sich hinein.
    »Ich sterbe vor Hunger«, bemerkte er rülpsend. »Du lässt es dir gutgehen, stimmt’s? Der Krieg betrifft dich nicht. Du lebst weiter das süße Leben, während wir uns im Maquis die Zähne einschlagen … Wann wirst du dein Lager wählen? Eines Tages wirst du dich wohl entscheiden müssen …«
    »Ich mag keinen Krieg.«
    »Das ist keine Frage von Mögen oder Nichtmögen. Unser Volk rebelliert. Es hat genug davon, immer nur stillzuhalten und einzustecken. Du natürlich,

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