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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Ich bin Emissär der Nationalen Befreiungsfront. Dort halten sie dich für vertrauenswürdig. Du solltest sie nicht enttäuschen.«
    »Darf man wissen, was sie von mir wollen?«
    »Wir sind im Krieg, falls du das nicht weißt.«
    Oben angekommen, presste er mich gegen die Wand und horchte. Das Geschirrgeklapper aus der Küche löste ein nervöses Zucken auf seiner linken Wange aus.
    »Ruf sie her.«
    »Sieist alt und krank. Es wäre besser, du würdest deine Waffe wegstecken.«
    »Ruf sie her.«
    Ich rief Germaine. Ich dachte, sie würde entsetzt die Hände vor den Mund schlagen oder aufschreien, doch sie reagierte mit absolut verblüffender Kaltblütigkeit. Der Anblick der Pistole entlockte ihr lediglich ein schwaches Stirnrunzeln.
    »Ich habe gesehen, wie er aus den Feldern kam«, bemerkte sie.
    »Ich komme aus dem Maquis«, erklärte der Jugendliche mit stolzem Unterton, der keine Widerrede duldete. »Ihr setzt euch jetzt beide da in den großen Raum. Wenn das Telefon klingelt oder jemand an der Tür läutet, geht ihr nicht dran. Ihr habt nichts zu befürchten.«
    Mit der Pistole deutete er auf einen breiten Sessel. Germaine ließ sich hineinfallen und verschränkte die Arme im Schoß. Ihre Ruhe lähmte mich. Sie versuchte, nicht zu mir herüberzuschauen, vermutlich in der Hoffnung, ich täte es ihr gleich. Der Jugendliche hockte sich uns gegenüber hin und starrte uns an, als wären wir zwei Möbelstücke. Er schien sich sogar das Atmen zu versagen. Es gelang mir nicht, herauszufinden, was ihm durch den Kopf ging, aber immerhin war ich erleichtert zu sehen, dass er weniger ängstlich war als bei seiner Ankunft.
    Die Nacht hielt im Wohnzimmer Einzug. Der Junge rührte sich noch immer nicht, die Hand fest um die Pistole auf seinem Oberschenkel geklammert. Seine Augen glänzten im Dunkeln. Ich schlug vor, Licht anzumachen. Er antwortete nicht. Nach einigen Stunden begann Germaine, unruhig zu werden. Das war kein Anzeichen von Nervosität oder Ermattung, sie musste nur mal wohin und wagte aus Schamgefühl nicht, den Unbekannten um Erlaubnis zu bitten. Ich tat es für sie. Der Junge machte nur zweimal kurz »psst!«.
    »Worauf warten wir denn?«, fragte ich ihn.
    Germaine stieß mir kurz den Ellenbogen in die Seite, um mich zum Schweigen zu bringen. Ein Blitz erleuchtete die Finsternis,danach schien es, als sei das Dorf in noch undurchdringlichere Schwärze getaucht. Ich fühlte kalten Schweiß im Rücken und hätte rasend gern mein Hemd, das mir an der Haut klebte, gelockert, doch die völlige Reglosigkeit des Unbekannten hielt mich davon ab.
    Die Geräusche im Ort verstummten nach und nach. Ein letzter Motorenlärm, der in der Ferne verklang, danach betäubende Stille in Feldern und Gassen. Gegen Mitternacht prallte ein Kieselstein gegen den Fensterladen. Der Junge lief zur Scheibe und versuchte, draußen in der Finsternis etwas zu erkennen; dann wandte er sich an Germaine und befahl ihr, unten aufzumachen. Während Germaine die Stufen zur Apotheke hinuntereilte, setzte er mir den Lauf seiner Pistole an den Nacken und schob mich bis zur Treppe vor.
    »Madame, wenn Sie schreien, leg ich ihn um.«
    »Verstanden«, entgegnete Germaine.
    Kaum hatte sie den Haustürriegel zurückgeschoben, herrschte unten im Parterre dichtes Gedränge. Ich wollte wissen, was los war, doch die Pistole drückte meinen Schädel an die Wand.
    Germaine kam schon wieder die Stufen herauf. Ich sah undeutliche Gestalten durchs Treppenhaus schwanken. »Mach Licht an, du Idiot!«, knurrte eine raue Stimme. Germaine drückte auf den Schalter, und das Treppenhauslicht fiel auf vier bewaffnete Männer, die unbeholfen versuchten, einen Verletzten auf einer notdürftigen Trage zu transportieren. Ich erkannte Djelloul, Andrés ehemaligen Dienstburschen. Er steckte in einer ramponierten Drillichuniform, hatte ein Maschinengewehr über der Schulter und trug verschlammte Stiefel. Er schob mich beiseite und half den dreien mit der Trage die Stufen bis ins Wohnzimmer hinauf, wo sie ihre Last vor dem Sessel ablegten. Ohne sich um uns zu kümmern, bat er seine Gefährten, den Verletzten mit aller Vorsicht auf den Esstisch zu hieven.
    »Ihr könnt wegtreten«, ordnete er an. »Kehrt zur Einheit zurück. Laoufi bleibt bei mir. Ihr müsst uns nicht holen kommen. Falls es Probleme gibt, regele ich das allein.«
    Diedrei Männer gingen schweigend, ohne uns eines Blickes zu würdigen, die Treppe hinunter und verschwanden in der Nacht. Der Jugendliche nahm die

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