Die Schuld des Tages an die Nacht
Rücken zu mir, um den Brustkorb einen sauberen Verband. Ich dachte an die Jahre in Djenane Djato zurück, als ich ihn zum Freund und Beschützer hatte, an seine mit Vogeldreck besudelte Voliere, an unsere Stieglitzjagden im Gestrüpp hinter dem Souk, dann fiel mir sein Blick ein, dieser leere Blick, den er mir zugeworfen hatte, während dieser Teufel von Daho mich mit seiner Schlange quälte: Es versetzte mir einen Stich, und die schier unbezähm bare Lust, ihm meine Identität zu enthüllen, die mir auf der Zunge brannte, seit ich ihn wiedererkannt hatte, verflog von selbst.
Am letzten Tag nahmen alle drei Maquisarden ein Bad, rasierten sich, steckten ihre gereinigten Kleider und Schuhe in einen Sack, zogen Sachen von mir an und versammelten sich im Wohnzimmer. Mein Anzug war eigentlich viel zu groß für den Krankenpfleger, doch er konnte sich gar nicht oft genug im Spiegel betrachten, so hingerissen war er von seinem Erscheinungsbild. Alle drei versuchten, ihre Nervosität zu überspielen, Djelloul im Anzug, den ich mir für Simons Hochzeit gekauft hatte, der Capitaine in dem, den Germaine mir einige Monate zuvor geschenkt hatte. Nach dem Mittagessen befahl mir Djelloul, weiße Laken über das Balkongeländer zu hängen. Bei Einbruch der Dunkelheit knipste er in dem Raum, der auf die Obstplantagen hinausging, das Licht dreimal kurz an und wieder aus. Als aus der Finsternis hinter dem Rebenmeer ein fernes Licht aufblinkte, befahl er mir, mit dem Krankenpfleger ins Hinterzimmer der Apotheke zu gehen und ihm sämtliche Medikamente und Erste-Hilfe-Kästen auszuhändigen, die er benötigte. Wir verstauten drei volle Kartons im Kofferraum meines Wagens und kehrten ins Obergeschoss zurück, wo der Capitaine, noch ein wenig bleich im Gesicht, gedankenverloren im Korridor auf und ab schritt.
»Wie spät ist es?«, fragte Djelloul.
»Viertel vor zehn«, antwortete ich.
»Es ist so weit. Du bringst uns in deinem Wagen von hier weg, und ich sage dir, wie du fahren musst.«
Germaine, die sich abseits im Wohnzimmer aufhielt, faltete die Hände zum Gebet und zog den Kopf ein. Sie zitterte. Der Krankenpfleger ging zu ihr, klopfte ihr auf die Schulter. »Es wird alles gutgehen, Madame. Machen Sie sich keine Sorgen.« Germaine verkroch sich nur noch mehr.
Capitaine und Krankenpfleger nahmen auf dem Rücksitz Platz, zu ihren Füßen die Waffen. Djelloul stieg neben mir ein; erzupfte beständig an seiner Krawatte herum. Ich öffnete das Garagentor, das Germaine nach unserer Abfahrt wieder schloss, und fuhr ohne Licht bis zum Weinkeller Kraus, genau gegenüber von Andrés Snackbar. In der Bar und im Hof waren Leute. Rufe und Lachen klangen herüber. Mich überfiel Angst, Djelloul würde plötzlich eine Rechnung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber begleichen wollen. Doch er begnügte sich mit einem höhnischen Grinsen und deutete mit dem Kinn Richtung Ortsausfahrt. Ich schaltete die Scheinwerfer ein und brauste der Nacht entgegen.
Wir nahmen die asphaltierte Straße Richtung Lourmel und bogen, bevor wir das Dorf erreichten, auf die Piste nach Terga-Plage ab. An einer Abzweigung wartete ein Motorrad auf uns. Ich erkannte den Jugendlichen wieder, der am ersten Tag mit seinem Revolver in der Apotheke aufgetaucht war. Er wendete und fuhr mit Volldampf voraus.
»Fahr ihm langsam nach«, befahl mir Djelloul. »Du darfst ihn auf keinen Fall einholen. Sollte er zurückkommen, schaltest du die Scheinwerfer aus und kehrst um.«
Der Motorradfahrer kam nicht zurück.
Nach etwa zwanzig Kilometern erblickte ich ihn am Straßenrand. Djelloul hieß mich, auf seiner Höhe anzuhalten und den Motor abzustellen. Aus dem Dickicht tauchten Silhouetten mit Gewehren und Rucksäcken auf. Eine der Silhouetten zerrte ein ausgemergeltes Maultier hinter sich her. Meine Passagiere stiegen aus und liefen zu ihnen hinüber, umarmten sie kurz. Der Krankenpfleger kam gleich wieder zurück, befahl mir, hinterm Steuer zu warten und öffnete eilig den Kofferraum. Die Medikamentenkartons und Erste-Hilfe-Kästen wurden auf das Maultier geladen. Dann entließ mich Djelloul mit einem Handzeichen. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Sie würden mich doch nicht einfach so davonfahren lassen, ohne mir ein Haar zu krümmen, auf die Gefahr hin, dass ich sie an der erstbesten Straßensperre verpfiff? Ich versuchte, Djellouls Blick aufzufangen, doch er wandte mir schon wieder den Rücken zu undfolgte seinem Capitaine nach, den ich seit der Nacht, in der er mich fast erwürgt
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