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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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ich Berge versetzen kann und einen Stolz, der sich durch nichts und niemanden bezwingen lässt.«
    Seine Finger gruben sich in meine Schultern ein, taten mir weh. Er merkte es nicht. Seine Augäpfel glichen weißglühenden Kugeln.
    »Gewiss, unsere Ländereien habe ich nicht retten können, aber erinnere dich nur, wie viel Weizen ich dort wachsen ließ! Was dann passierte, ist nicht meine Schuld. Gegen die Gier und Missgunst der Menschen vermögen alle Gebete und Anstrengungen nichts. Ich war naiv. Heute bin ich das nicht mehr. Mir wird keiner mehr einen Stoß in den Rücken versetzen. Ich fange bei null an. Aber ich bin gewarnt. Ich werde schuften, wie kein Neger je geschuftet hat, werde allen bösen Flüchen trotzen, und du wirst mit eigenen Augen sehen, welche Würde dein Vater hat. Ich werde uns aus diesem Loch herausholen, das uns verschluckt hat, ich werde es so weit bringen, dass es seine Beute wieder ausspuckt, das schwör ich dir. Glaubst wenigstens du mir?«
    »Ja, Papa.«
    »Sieh mir in die Augen und sag, dass du mir glaubst.«
    Er hatte keine Augen mehr, sondern Krater aus Tränen und Blut, in denen wir beide unterzugehen drohten.
    »Siehmich an!«
    Er packte mein Kinn mit eisernem Griff und zwang mich, den Kopf zu heben.
    »Du glaubst mir nicht, habe ich recht?«
    Ich hatte einen Kloß im Hals. Ich vermochte weder zu sprechen noch seinem Blick standzuhalten. Seine Hand allein hielt mich aufrecht.
    Und plötzlich krachte seine andere Hand auf meine Wange.
    »Du sagst nichts, weil du denkst, dass ich phantasiere. Du dreckiger Bengel! Du hast kein Recht, an mir zu zweifeln, hörst du? Keiner hat das Recht, an mir zu zweifeln. Wenn dein Onkel, dieser Mistkerl, so wenig von mir hält, dann nur, weil er selbst kaum mehr taugt als ich.«
    Es war das erste Mal, dass er die Hand gegen mich erhob. Ich verstand die Welt nicht mehr, wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte, warum er mich so traktieren musste. Ich schämte mich, ihn derart in Harnisch versetzt zu haben, und hatte Angst, er, der in meinen Augen mehr als alles auf der Welt zählte, würde mich verstoßen.
    Wieder hob mein Vater die Hand. Ließ sie in der Luft hängen. Seine Finger zitterten. Die geschwollenen Lider entstellten sein Gesicht. Er röchelte wie ein waidwundes Tier, dann zog er mich schluchzend an seine Brust und drückte mich so fest und so lange an sich, bis ich nach Luft zu schnappen begann.

3 .
    DIE FRAUEN HATTEN ES SICH im Patio an einem niedrigen Tisch bequem gemacht. Sie tranken Tee und sonnten sich. Meine Mutter war auch unter ihnen, zurückhaltend, mit Zahra im Arm. Nach anfänglichem Zögern hatte sie sich dann doch der Gruppe beigesellt, beteiligte sich allerdings nie am Gespräch. Sie war schüchtern, errötete häufig und erstickte schier vor Scham, wenn Badra ihre schlüpfrigen Geschichten zum Bes ten gab. An diesem Nachmittag wurde über alles Mögliche geplaudert, um der Hitze zu trotzen, die den Innenhof zum Dampfkessel machte. Die rothaarige Yezza hatte ein blaues Auge, ihr Mann war am Vorabend wieder einmal betrunken heimgekehrt. Die anderen taten so, als sähen sie es nicht. Aus Takt. Yezza war eine stolze Frau, die die Niedertracht ihres Mannes mit stiller Würde ertrug.
    »Ich habe seit ein paar Nächten einen seltsamen Traum«, berichtete Mamma der Seherin Batoul. »Es ist immer derselbe Traum: Ich liege im Dunkeln auf dem Bauch, und jemand sticht mir ein Messer in den Rücken.«
    Die Frauen drehten sich in Erwartung einer Deutung zu Batoul um. Die Seherin verzog das Gesicht, kratzte sich am Kopf: Sie sah nichts.
    »Und es ist immer derselbe Traum, sagst du?«
    »Genau derselbe.«
    »Du liegst im Dunkeln auf dem Bauch, und jemand rammt dir ein Messer in den Rücken?«, fragte Badra.
    »Genauso«, bestätigte Mamma.
    »Und du bist ganz sicher, dass es wirklich ein Messer ist?«, hakte Badra nach und verdrehte belustigt die Augen.
    Die Frauen brauchten ein paar Sekunden, um Badras Anspielung zu verstehen, dann bogen sie sich vor Lachen. Da Mamma nicht begriff, was ihre Gefährtinnen dermaßen erheiterte, half Badra ein wenig nach:
    »Du solltest deinen Mann bitten, etwas behutsamer zu Werke zu gehen.«
    »Du hast ja wirklich nichts anderes im Kopf!«, regte Mamma sich auf. »Ich meine das ganz im Ernst.«
    »Und ich auch, stell dir vor.«
    Und wieder schütteten die Frauen sich vor Lachen aus, sie wieherten förmlich. Mamma schmollte anfänglich, von diesem Mangel an Selbstbeherrschung abgestoßen, doch dann ließ

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