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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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wildes Gedränge. Man begriff nicht immer recht, was sie eigentlich erzählten – ihre Geschichten waren so kunterbunt wie ihre Kostüme –, aber sie hatten die Gabe, ihr Publikum mit überraschenden Wendungen zu verblüffen und es vom ersten Satz bis zum Ende ihrer Hirngespinste in Atem zu halten. Sie waren so etwas wie eine Oper für Arme, unser Freilichttheater. Von ihnen habe ich zum Beispiel erfahren, dass das Meerwasser süß war, bevor die Seemannswitwen es mit ihren Tränen auffüllten … Gleich nach den Gouals kamen die Schlangenbeschwörer. Wir erschraken fürchterlich, wenn sie uns ihre Reptilien in die Arme warfen. Ich habe welche gesehen, die die zuckenden Vipern zur Hälfte verschlangen und sie dann jäh in den Ärmeln ihrer Ganduras verschwinden ließen – ein Spektakel, das so faszinierend wie abstoßend war, so dass ich nachts noch Alpträume hatte … Am tückischsten aber waren die Scharlatane jeglicher Couleur, die wild hinter ihren Auslagen gestikulierten, auf denen sich Flakons mysteriösen Inhalts, Gris-Gris, Talisman-Täschchen und ihrer aphrodisischen Eigenschaften wegen hochgeschätzte Kleintierkadaver häuften. Für jede Krankheit hatten sie das passende Mittelchen parat: ob Taubheit, Karies, Gicht, Lähmungserscheinungen, Ängste, Unfrucht barkeit, Krätze, Schlaflosigkeit, Verhexung, chronische Pechsträhnen oder Frigidität, und die Leute ließen sich mit geradezu beängstigender Leichtgläubigkeit ködern. Es gab sogar welche, die sich, keine drei Sekunden nachdem sie sich einen Zaubertrank einverleibt hatten, schon im Staub wälzten und riefen, es sei ein Wunder geschehen. Es war haarsträubend. Hin und wieder mischten sich auch ein paar Erleuchtete unter die Menge und begannen mit gestrenger Miene und Grabesstimme zu predigen. Sie bauten sich auf ihrem Bretterpodest auf und ließen sich forttragen vom eigenen Redeschwall, geißelten die Verrohung der Sitten und verkündeten das Nahen des Jüngsten Gerichts. Sie sprachen von der Apokalypse, vom mensch lichenZorn, vom Schicksal und den unreinen Frauen; sie zeigten mit dem Finger beliebig auf Passanten und überschütteten sie mit Schimpftiraden oder verloren sich in ausufernden esoterischen Theorien … »Wie viele Sklaven haben sich schon gegen Weltreiche erhoben und sind am Ende doch am Kreuz gelandet?«, donnerte einer von ihnen mit wehendem Rauschebart. »Wie viele Könige glaubten, am Rad der Geschichte zu drehen, und sind dann doch im Dunkel der Kerker verreckt? Wie viele Propheten haben nicht schon versucht, die Menschheit zu verbessern, und haben sie nur noch verrückter gemacht?« – »Und wie oft sollen wir dir noch sagen, dass du uns zu Tode langweilst?«, kam das Echo aus der Menge. »Zieh dir eine Kapuze über dein Uhugesicht und zeig uns, wie gut du bauchtanzen kannst, statt uns mit deinem Schwachsinn auf den Geist zu gehen!«
    Eine der größten Attraktionen für uns war Slimane, der Leierkastenmann mit seiner Drehorgel vorm Bauch und seinem Seidenäffchen auf der Schulter. Er zog unter beständigem Drehen der Kurbel über den Platz, während sein winziger Affe den Schaulustigen sein Pagenkäppi hinhielt, und wenn jemand eine Münze hineinwarf, bedankte sich der Affe mit zwerchfellerschütternden Grimassen. Ein wenig abseits des Rummels, in Nähe der Viehverschläge, waren die Eselverkäufer zugange, geschickte Schwätzer und gewaltige Rosstäuscher mit einem derart behänden Mundwerk, dass sie dir noch das letzte Maultier für ein Vollblut verkauften. Ich hörte immer gerne zu, wie sie ihre Tiere über den grünen Klee lobten, denn von ihnen eingewickelt zu werden war ein Vergnügen der besonderen Art. Sie behandelten einen so zuvorkommend, als wäre man ein Bachagha, ein hoher Stammesfürst. Manchmal tauchten inmitten all des Tohuwabohus auch noch die Karkabou auf, eine Gruppe von Schwarzen, mit Amuletten behängt, die göttlich tanzten und dabei ihre milchigen Augen himmelweit aufrissen. Man erkannte sie schon von fern an dem Heidenlärm, den sie mit ihren riesigen Eisenkastagnetten und ihrem wilden Ge trommelveranstalteten. Die Karkabou ließen sich nur anlässlich der Patronatsfeste Sidi Bilals, ihres Schutzheiligen, blicken. Sie führten einen jungen Opferstier mit sich, der in den Farben ihrer Bruderschaft geschmückt war, und klopften an jede Tür, um das nötige Geld für die Durchführung ihres Opferrituals zu sammeln. Wenn sie durch Djenane Djato zogen, gerieten alle Haushalte in Aufruhr; die Frauen

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