Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
bösartig und brutal waren wie er. Kein Mensch wusste, woher er stammte noch wer seine Eltern waren, aber alle waren sich einig, dass er früher oder später irgendwo am Strick enden würde oder mit aufgepfähltem Kopf.
    Und dann war da noch El Moro – ein ehemaliger Sträfling, dersiebzehn Jahre Zuchthaus überlebt hatte. Er war riesengroß, hatte eine Stirn wie ein Bulle und mächtige Arme. Er war von Kopf bis Fuß tätowiert und trug eine Lederbinde über seinem kaputten Auge. Ein gewaltiger Schmiss, der sich, sein Gesicht aufspaltend, von der rechten Braue bis zum Kinn hinzog, machte seinen Mund zur Hasenscharte. El Moro, das war der leibhaftige Terror. Wo immer er auftauchte, wurde es schlagartig still, und die Leute stahlen sich im Schatten der Mauern davon. Eines Morgens bekam ich ihn aus nächster Nähe zu Gesicht. Wir waren ein ganzer Schwarm von Knirpsen, die sich um Holzbein, unseren Krämer, scharten. Der alte Haudegen erzählte uns von seinen Heldentaten im marokkanischen Rif-Gebirge – er hatte gegen den legendären Berberrebellen Abd el-Krim gekämpft. Wir hingen gebannt an seinen Lippen, da wurde unser Held plötzlich leichenblass. Als hätte er gerade einen Herzinfarkt bekommen. Aber das war es nicht: El Moro hatte sich breitbeinig hinter uns aufgebaut, die Hände in die Hüften gestemmt. Höhnisch musterte er den Krämer von oben bis unten.
    »Willst du diese Kinder als Kanonenfutter in den Krieg schicken, du Holzkopf? Stopfst du ihnen deshalb den Schädel mit deinem elenden Quatsch voll? Warum erzählst du ihnen nicht, wie deine Offiziere dich nach Jahren treuer Dienste den Hunden zum Fraß vorgeworfen haben, mit einem Bein weniger als zuvor?«
    Holzbein hatte es jäh die Sprache verschlagen. Sein Mund schnappte ins Leere, wie ein Fisch an Land.
    El Moro fuhr fort, und er redete sich in Rage:
    »Du räucherst die Dörfer aus, massakrierst das Vieh, knallst arme Teufel mit dem Karabiner ab und stellst deine schändlichen Trophäen dann in aller Öffentlichkeit aus. Und das nennst du Krieg? Soll ich dir mal was sagen? Du bist eine feige Memme, du widerst mich an! Ich hätte nicht übel Lust, dich auf diesen Knüppel, den du da als Bein hast, zu spießen, bis dir die Augen zu den Ohren herausquellen … Helden deines Schla ges,für die gibt es kein Kriegerdenkmal, und noch nicht mal eine Inschrift auf dem Massengrab. Du bist nur ein Mistkerl, der seine Seele verkauft hat, du glaubst, wenn du dich mit der Fahne deiner Herren schnäuzt, kannst du dich zugleich dahinter verstecken.«
    Der arme Goumier war aschfahl geworden und schlotterte nur so. Sein Adamsapfel hüpfte wie wild auf und ab. Und plötzlich begann er zu stinken – er hatte sich in die Hose gemacht.
    Aber trotz allem gab es in Djenane Djato nicht nur schlimme Finger und schwere Jungs. Die meisten Leute waren ganz in Ordnung. Die Armut hatte ihrer Seele nichts anhaben können, die Plackerei ihnen die Gutmütigkeit nicht ausgetrieben. Sie wussten, dass es schlecht um sie stand, doch sie hofften noch immer auf das himmlische Manna, zuversichtlich, dem Pech, das sie hartnäckig verfolgte, würde eines Tages die Luft ausgehen, aus der Asche ein Funken Hoffnung aufsteigen. Es waren anständige Leute, mitunter liebenswert und auch lustig. Sie hatten sich ihren Glauben bewahrt, und das verlieh ihnen eine unerhörte Geduld. Wenn in Djenane Djato Markt war, herrschte im Souk regelrecht Volksfeststimmung, und ein jeder trug das Seine dazu bei, diese Illusion aufrechtzuerhalten. Die Suppenverkäufer schwangen ihre Kellen so beherzt wie Schlagstöcke, um sich die Bettler vom Leib zu halten. Für einen halben Duro bekam man eine Brühe aus Kichererbsen, gekochtem Wasser und Kreuzkümmel. Außerdem gab es ein paar dubiose Kaschemmen, vor denen Gruppen von Hungrigen kulinarischen Phantasien erlagen, während sie den von dort aufsteigenden Küchenduft in vollen Zügen einsogen. Und natürlich fehlten auch die Profitgeier nicht, aus allen Himmelsrichtungen fielen sie ein, allzeit bereit, aus einem Missverständnis oder einer unbedachten Handlung bare Münze zu schlagen. Doch die Leute von Djenane Djato ließen sich nicht provozieren. Sie hatten begriffen, dass krumme Vögel sich nicht zurechtbiegen lassen, und wandten sich lieber den Gauklern und Possenreißern zu. Alt und Jung schwärmte für sie. Zu den speziellen Lieblingen die serArt von Kirmes gehörten die gouals , die traditionellen Dichter. Vor dem Podest, auf dem sie auftraten, herrschte stets

Weitere Kostenlose Bücher