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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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sandte. Ich war mir des Glücks, das ich ihr und ihrem Mann bereitete, wohl bewusst, und es schmeichelte mir.
    Manchmal empfing mein Onkel Leute, die teilweise von sehr weit her kamen; Araber und Berber, die einen europäisch gekleidet, die anderen in traditioneller Tracht. Es waren sehr wichtige und vornehme Leute. Sie alle sprachen von einem Land, das sich Algerien nannte; nicht von dem Algerien, von dem wir in der Schule erfuhren, auch nicht von dem der schicken Viertel, sondern von einem anderen Land, einem ausgeplünderten, unterdrückten, geknebelten Land, das an seiner Wut wie an einer verdorbenen Speise würgte: dem Algerien der Djenane Djatos, der offenen Brüche und der verbrannten Erde, der Prügelknaben und der Lastenträger. Ein Land, das es neu zu erfinden galt. Ein Land, in dem sich allem Anschein nach sämtliche Widersprüche der Welt häuslich niedergelassen hatten.
    Ich glaube, ich war glücklich bei meinem Onkel. Ich vermisste Djenane Djato nicht besonders. Ich hatte mich mit einem Mädchen angefreundet, das im Haus gegenüber wohnte. Sie hieß Lucette. Wir gingen in dieselbe Klasse, und ihr Vater erlaubte ihr, mit mir zu spielen. Sie war neun Jahre alt, nicht sehr hübsch, aber gutherzig und von angenehmem Wesen. Ich war sehr gern mit ihr zusammen.
    In der Schule normalisierten sich die Dinge ab dem zweiten Jahr. Es war mir gelungen, mich einzureihen. Diese kleinen Rumis waren wirklich komische Kinder. Sie konnten dich mit offenen Armen aufnehmen und im nächsten Moment schon wieder fortstoßen. Untereinander verstanden sie sich sehr gut. Es kam vor, dass sie sich in der Pause heftig stritten und schworen, sich bis ans Ende ihrer Tage zu hassen, aber sobald irgendein Eindringling auftauchte – im Allgemeinen ein Araber oder ein»armer Cousin« aus ihrer eigenen Gemeinschaft –, verbündeten sich alle wie ein Mann gegen ihn. Sie mieden ihn wie die Pest, verspotteten ihn und zeigten systematisch mit dem Finger auf ihn, wenn ein Sündenbock gesucht wurde. Am Anfang hatten sie Maurice auf mich angesetzt, den schlechtesten Schüler, der ein großer Raufbold war. Als sie merkten, dass ich ein »Waschlappen« war, der weder zurückschlug noch jammerte, ließen sie mich in Ruhe. Und als sie dann andere Prügelknaben fanden, duldeten sie mich am Rand ihrer Gruppe. Aber sie ließen keine Gelegenheit aus, mich spüren zu lassen, dass ich nicht ganz dazugehörte. Seltsamerweise brauchte ich nur mein Pausenbrot aus dem Ranzen zu holen, und schon waren sie lammfromm. Plötzlich waren alle meine Freunde und behandelten mich mit entwaffnendem Respekt. Kaum war das Pausenbrot aufgeteilt und bis zum letzten Krümel verspeist, wandten sie sich so schnell von mir ab, dass mir ganz schwindlig wurde.
    Eines Abends kam ich rasend vor Wut nach Hause. Ich wollte auf der Stelle eine Erklärung. Ich war zornig auf Maurice, den Lehrer und die ganze Klasse. Ich war tief in meinem Stolz getroffen und begriff zum ersten Mal, dass mein Schmerz sich nicht auf den meiner Familie beschränkte, sondern auch Leute mit einschließen konnte, die ich nicht im Entferntesten kannte, die mir aber für die Dauer einer Beleidigung so nahe rückten wie Vater und Mutter. Es passierte während des Unterrichts. Wir hatten unsere Hausaufgaben abgegeben, und Abdelkader steckte in der Klemme. Er hatte seine nicht gemacht. Der Lehrer packte ihn beim Ohr und zerrte ihn vor die Klasse. Da stand er nun auf dem Podest, und der Lehrer fragte ihn: »Können Sie uns wohl erklären, warum Sie kein Aufgabenblatt für mich haben wie Ihre Mitschüler, Monsieur Abdelkader?« Der ertappte Schüler schaute mit hochrotem Kopf zu Boden. »Warum haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, Monsieur Abdelkader? Warum?« Da keine Antwort kam, wandte der Lehrer sich an die Klasse: »Kann mir jemand sagen, warum Monsieur Abdelkader seine Hausaufgaben nicht gemacht hat?«
    Ohnesich zu melden, antwortete Maurice wie aus der Pistole geschossen: »Weil alle Araber faul sind, Monsieur.« Die allgemeine Heiterkeit, die er damit auslöste, war für mich niederschmetternd.
    Kaum zu Hause, stürmte ich ins Arbeitszimmer meines Onkels.
    »Stimmt es, dass alle Araber faul sind?«
    Mein Onkel war von der Aggressivität meines Tons überrascht.
    Er legte das Buch, in dem er gerade blätterte, zur Seite und wandte sich zu mir. Was er in meinem Gesicht las, berührte ihn wohl sehr.
    »Komm zu mir, mein Junge!«, sagte er und breitete die Arme aus.
    »Nein … ich will wissen, ob das

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