Die Schuld des Tages an die Nacht
Idee. Ich kenne ihn. Je weniger er darüber redet, umso mehr gärt es in ihm. Er frisst seine Wut stumm in sich hinein. Er verachtet mich. Er meint, ich hätte meine Seele dem Teufel verkauft. Ich habe mich von den Meinen losgesagt, eine Ungläubige geheiratet und meine Gandura gegen einen europäischen Anzug ein getauscht.Und selbst, wenn ich noch einen Fes auf dem Kopf trage, so wirft er mir doch vor, dass ich meinen Turban an den Nagel gehängt habe. Wir werden uns nie verstehen.«
»Du hättest seiner Frau ein paar Scheine zustecken können.«
»Die hätte sie niemals genommen. Sie weiß, dass Issa sie dann totschlagen würde.«
Ich rannte nach oben in mein Zimmer und drehte den Schlüssel zweimal um.
Am nächsten Mittag ließ mein Onkel das Eisenrollo an seinem Laden herunter und kam, um mich zu holen. Er hatte wohl noch einmal in Ruhe nachgedacht, oder vielleicht hatte Germaine ihn schließlich überzeugt. Wie auch immer, er wollte ein für alle Mal Klarheit haben. Er war es leid, in der beständigen Angst zu leben, mein Vater könne es sich anders überlegen. Diese Ungewissheit lastete schwer auf seinem Glück; er hatte einiges mit mir vor, doch die jederzeit mögliche Umkehrung der Situation irritierte ihn. Mein Vater war imstande, ohne Vorwarnung einfach aufzukreuzen und mich sang- und klanglos wieder mitzunehmen.
Mein Onkel begleitete mich also nach Djenane Djato. Und Djenane Djato erschien mir noch grauenhafter als zuvor. Die Zeit stand hier still, führte zu nichts. Überall dieselben schmutzbraunen Gesichter, die ihren dunklen, stechenden Blick auf die Umwelt warfen, dieselben chinesischen Schatten, die im Halbdunkel versanken. Als Holzbein uns kommen sah, schob er seinen Turban ruckartig aus der Stirn. Fast hätte der Barbier dem Alten, dem er gerade den Schädel rasierte, ein Ohr abgeschnitten. Und die Kinder ließen alles fahren, reihten sich am Wegrand auf und starrten uns an. Die Lumpen hingen trostlos von ihren mageren Leibern herab.
Mein Onkel vermied es, dem Elend ringsum Beachtung zu schenken. Er ging zügig, mit erhobenem Kopf und undurchdringlichem Blick.
Er wollte nicht mit in den Patio, wartete lieber draußen auf mich.
»Lassdir nur Zeit, mein Junge.«
Ich rannte in den Hof. Zwei von Badras Sprösslingen balgten sich keuchend neben dem Brunnen, die Arme ineinander verknotet. Der kleinere drückte den großen Bruder mit aller Kraft zu Boden und versuchte, ihm den Ellenbogen auszurenken. In der Ecke bei den Latrinen war Hadda mit ihrer Wäsche zugange; sie kauerte vor einer halbierten Blechtonne, die ihr als Wanne diente, das Kleid weit über die Knie hochgeschoben, und bot ihre ansehnlichen Beine den streichelnden Sonnenstrahlen dar. Sie hatte mir den Rücken zugewandt und schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass die beiden Rangen ihrer Nachbarin sich gerade eine rabiate Runde Freistilringen lieferten.
Ich hob den Vorhang unseres Verschlags an und musste ein paar Sekunden warten, bis sich meine Augen an die Dunkelheit im Raum gewöhnt hatten. Ich erkannte meine Mutter auf dem ärmlichen Bett, sie lag mit Kopftuch unter einer Decke.
»Bist du das, Younes?«, stöhnte sie.
Ich lief zu ihr hin und warf mich auf sie. Sie umschlang mich mit schwachen Armen und drückte mich müde an ihre Brust. Meine Mutter brannte vor Fieber.
Erschöpft schob sie mich zurück; mein Gewicht lastete wohl so schwer auf ihr, dass sie kaum noch Luft bekam.
»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte sie.
Meine Schwester kauerte neben dem niedrigen Tisch. Ich hatte sie erst gar nicht bemerkt, so stumm und unscheinbar, wie sie war. Ihre großen leeren Augen musterten mich, als fragten sie sich, wo sie mich schon einmal gesehen hatten. Ich war erst wenige Monate fort, und schon erinnerte sie sich nicht mehr an mich. Meine Schwester hatte noch immer nicht zu sprechen begonnen. Sie war anders als die Kinder ihres Alters und schien auch nicht wachsen zu wollen.
Ich holte das Spielzeug, das ich extra für sie gekauft hatte, aus dem Beutel und legte es vor sie auf den Tisch. Meine Schwester rührte es nicht an, sie musterte es nur flüchtig, bevor sie ihren Blickwieder mir zuwandte. Ich nahm das Spielzeug, eine kleine Stoffpuppe, und gab es ihr in die Hand. Sie merkte es nicht einmal.
»Wie hast du es fertiggebracht, unseren Patio wiederzufinden?«, wollte meine Mutter wissen.
»Mein Onkel wartet auf der Straße auf mich.«
Meine Mutter stieß einen spitzen Schrei aus, als sie versuchte, sich
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