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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Paar, selbst wenn ihr Glück unübersehbar asymmetrisch war. Augen vermögen zu lügen, der Blick indes nicht. Und Émilies Blick ermattete zusehends. Kaum war ich in ihrer Nähe, signalisierte er mir äußerste Ver zweiflung.Und wenn ich mich abwandte, holte er mich ein, belagerte mich. Warum ich?, rief es in meinem Inneren. Warum setzte sie mir so zu, bedrängte mich stumm von fern …? Émilie bewegte sich auf fremdem Terrain, das war sonnenklar. Sie wirkte wie ein einziger Irrtum. Ihrer Schönheit kam nur der Kummer gleich, den sie hinter dem Glanz ihrer Augen und ihrem freundlichen Lächeln verbarg. Sie zeigte ihn nicht, gab sich fröhlich, glücklich am Arm von Fabrice, aber es fehlte ihrer Seele die Heiterkeit. Wenn sie abends beide auf einer Düne saßen und er ihr den Himmel zeigte, sah sie die Sterne nicht … Ich habe sie zweimal spätnachts am Strand gesehen, aneinandergeschmiegt, kaum erkennbar in der Dunkelheit. Obwohl ich nicht in ihren Gesichtern lesen konnte, war ich überzeugt, dass seine Umarmung in gewisser Weise geraubt war …
    Und dann war da noch Jean-Christophe mit seinen Blumensträußen. Nie zuvor hatte er so viele Blumen gekauft. Tag für Tag ging er beim Floristen am Dorfplatz vorbei, bevor er sich auf direktem Weg zum Haus der Scamaronis begab. Simon betrachtete diese verdächtige Galanterie mit größter Skepsis, doch Jean-Christophe war es egal; er schien jedes Gefühl für Anstand und Mäßigung verloren zu haben. Mit der Zeit merkte Fabrice, dass seine Techtelmechtel mit Émilie immer häufiger gestört wurden, Jean-Christophe immer dreister auftrat, immer raumgreifender. Zunächst nahm Fabrice daran keinen Anstoß. Nach einer Weile, als er seine Küsse immer häufiger auf später verschieben musste, begann er, sich Fragen zu stellen. Jean-Christophe ließ die beiden kaum mehr allein, als bespitzele er all ihr Tun und Lassen …
    Und was geschehen musste, geschah.
    Wir waren wieder einmal am Strand, in Terga-Plage, eines Sonntagnachmittags. Die Urlauber hüpften wie Heuschrecken über den brennend heißen Sand, bevor sie sich ins Wasser stürzten. Simon genehmigte sich seine Verdauungssiesta, mit Schweiß perlen im Nabel – er hatte mehrere Gebinde Merguez-Würstchen intus und eine ganze Flasche Wein. Sein dicker be haarterBauch erinnerte an den Blasebalg eines Hufschmieds. Fabrice hatte die Augen weit geöffnet, sein Buch lag zerfleddert zu seinen Füßen. Er las nicht, um sich nicht abzulenken. Er lauerte und spähte, gleich einem Beutetier. Es lag etwas in der Luft … Er beobachtete Jean-Christophe und Émilie, wie sie sich lachend mit Wasser bespritzten, um die Wette tauchten und die Luft anhielten, dann so weit hinausschwammen, dass man sie kaum noch erkennen konnte; er sah, wie sie inmitten der Wellen tollten und turnten, Purzelbäume schlugen und Handstand machten. Während dieser ganzen Wassergymnastik spielte ein melancholisches Lächeln auf seinen Lippen, und in seinen Augen standen Fragezeichen … Und als sie plötzlich zwischen zwei Wellenbergen auftauchten und sich bei der Taille fassten, von dieser spontanen Geste offenbar selbst überrascht, erschien eine steile Falte auf seiner Stirn. Er begriff, dass all die schönen Pläne, die er geschmiedet hatte, ihm gnadenlos zwischen den Fingern zerrannen, wie die Zeitkörnchen in der Sanduhr …
    Nein, dieser Sommer hat mir gar nicht gefallen. Es war der Sommer der Missverständnisse, des heimlichen Kummers und der Entsagungen; ein Sommer der Hundstage, der einem kalt über den Rücken lief, einem ungeniert ins Gesicht log. Unsere Clique kehrte noch des Öfteren an den Strand zurück, aber Herzen und Blicke waren auf Abwegen. Ich weiß nicht, warum ich diesen Sommer rückblickend die tote Jahreszeit nannte. Vielleicht wegen des Titels, den Fabrice seinem ersten Roman gab, der so begann: Wenn die Liebe einen betrügt, ist das der Beweis, dass man sie nicht verdient; wahrer Edelmut bestünde darin, sie in die Freiheit zu entlassen – nur um diesen Preis liebt man wahrhaftig. Anständig wie stets, so großherzig, dass er freiwillig aufgab, bewahrte Fabrice sein Lächeln, obwohl sein Herz komplett aus dem Takt geriet.
    Simon fand die Wendung, die das Ende der Sommersaison genommen hatte, unerträglich. Es gab zu viel Heuchelei, zu viel unterdrückte Ausbrüche. Er fand Émilies doppeltes Spiel widerwärtig. Was hatte sie Fabrice denn vorzuwerfen? Seine Freundlichkeit?Seine beispiellose Höflichkeit? Der Dichter hatte es nicht

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