Die Schuld des Tages an die Nacht
verdient, mit einem Kopfsprung einfach abgehängt zu werden. Er hatte sich mit Leib und Seele dieser Liaison verschrieben, und das ganze Dorf war sich einig, dass sie ein Traumpaar abgaben und ihnen zu ihrem Glück nichts fehlte. Simon hatte größtes Mitleid mit Fabrice, ohne Jean-Christophe indes offen anzuklagen, dem man immerhin zugutehalten musste, dass er seit dem Verlust von Isabelle furchtbar depressiv gewesen war; überdies schien ihm gar nicht bewusst zu sein, wie sehr er seinem besten Freund Unrecht tat. Für Simon lagen die Dinge klar auf der Hand. Die Schuld fiel allein dieser »Schwarzen Witwe« zu, die anderswo erzogen worden war und keine Ahnung von den Werten und Regeln hatte, nach denen das Leben in Río Salado verlief.
Ich wollte mit der ganzen Geschichte nichts zu tun haben. Vier von fünf Malen fand ich einen Vorwand, um der Clique fernzubleiben, ein Gelage zu versäumen, eine Soirée zu schwänzen.
Simon, der Émilies Anblick nicht mehr ertrug, fing seinerseits an, sich auszuklinken; er zog meine Gesellschaft vor und nahm mich in Andrés Snackbar zum Billardspielen mit, bis wir Wadenstechen bekamen.
Fabrice verzog sich nach Oran. Er verkroch sich in der Wohnung seiner Mutter am Boulevard des Chasseurs, feilte an den Chroniken, die er für seine Zeitung schrieb, und entwarf das Gerüst seines Romans. Er kam fast überhaupt nicht mehr ins Dorf zurück. Ich habe ihn nur einmal in Oran besucht; er wirkte resigniert.
Jean-Christophe lud uns, das heißt Simon und mich, zu sich nach Hause ein. Wie immer, wenn er eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Er gestand uns, er habe sich in Émilie verliebt und wolle um ihre Hand anhalten. Als er Simons fassungslose Miene bemerkte, hielt er eine flammende Ansprache, um zu verhindern, dass wir ihm sein Glück madig machten.
»Esist, als wäre ich neugeboren … Nach allem, was ich durchgemacht habe«, erklärte er im Hinblick auf die Folgen seines Bruches mit Isabelle, »brauchte es wirklich ein Wunder, um darüber hinwegzukommen. Und das Wunder hat stattgefunden. Dieses Mädchen hat mir der liebe Gott geschickt.«
Simon grinste schief, was Jean-Christophe natürlich nicht entging:
»Was ist denn? Man könnte fast meinen, du siehst das anders.«
»Das ist mein gutes Recht.«
»Warum grinst du so, Simon?«
»Um nicht zu heulen, wenn du es unbedingt wissen willst … Jawohl! Du hast ganz richtig gehört: um nicht zu heulen, nicht zu kotzen, mir nicht die Kleider vom Leib zu reißen und tobend durch die Straßen zu laufen.«
Simon war so gut wie auf dem Sprung. Die Adern an seinem Hals waren fingerdick geschwollen.
»Raus mit der Sprache«, ermunterte ihn Jean-Christophe, »welcher Stein liegt dir auf dem Herzen?«
»Von Stein kann keine Rede sein. Ein ganzer Felsblock ist es. Ich will offen zu dir sein. Ich sehe das nicht nur ganz anders, ich bin außerdem auch ziemlich wütend. Was du Fabrice angetan hast, ist unverzeihlich.«
Jean-Christophe reagierte gelassen. Er sah ein, dass er uns eine Erklärung schuldig war, und offensichtlich hatte er sich auch schon Argumente zurechtgelegt. Wir saßen im Wohnzimmer am Tisch, vor uns ein Tablett mit einem Krug Zitronensaft und einer Karaffe mit einer milchigen Flüssigkeit, die nach Kokosnuss roch. Das Fenster zur Straße stand offen, der Vorhang blähte sich im Wind. In der Ferne bellten die Hunde; ihr Gekläff hallte durch die Stille der Nacht.
Jean-Christophe wartete, bis Simon sich wieder gesetzt hatte, dann griff er nach einem Glas Wasser, setzte es an die Lippen und trank in lauten Schlucken.
Er setzte das Glas wieder ab und wischte sich mit einem Zip feldes Geschirrtuchs über die Lippen, bevor er es mechanisch auf dem Tisch ausbreitete und glattstrich.
Ohne uns anzusehen, sagte er mit bedächtiger Stimme:
»Es ist Liebe. Ich habe nichts gestohlen, nichts entwendet. Einfach nur Liebe auf den ersten Blick, wie millionenfach auf der Welt. Ein Augenblick der Gnade, ein göttlicher Funke. Ich glaube nicht, dass ich dessen nicht würdig bin. Auch nicht, dass ich deshalb erröten müsste. Ich habe Émilie von Anfang an geliebt. Darin liegt nichts Verwerfliches. Fabrice ist noch immer mein Freund. Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen soll. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen.«
Seine Fäuste knallten mit voller Wucht auf die Tischplatte, es ging uns durch und durch:
»Ich bin glücklich, verdammt! Ist es ein Verbrechen, glücklich zu sein?«
Er sah Simon mit flammenden Augen an:
»Was
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