Die Schuld des Tages an die Nacht
und Fabrice ist mein bester Freund. Es käme mir nie in den Sinn, sein Glück zu zerstören.«
»Sie sind ein vernünftiger Junge. Ich glaube, das habe ich Ihnen schon einmal gesagt.«
Sie legte die Hände an die Nase, ohne mich aus den Augen zu lassen. Nach kurzem Nachdenken hob sie das Kinn:
»Ich komme gleich zur Sache, Monsieur Jonas … Sie sind Muslim, ein guter Muslim, soviel ich weiß, und ich bin Katholikin. Wir haben in einem früheren Leben einen schwachen Moment gehabt. Ich hoffe, der Herrgott wird es uns verzeihen. Es war ein einmaliger Ausrutscher … Dennoch gibt es eine Fleischessünde, die Er unter keinen Umständen verzeiht: den Inzest …!«
Ihr Blick schien mich töten zu wollen, als sie das Wort aussprach.
»Er ist die furchtbarste aller Verirrungen.«
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Aber wir sind schon längst beim Thema, Monsieur Jonas. Man schläft nicht ungestraft mit Mutter und Tochter, ohne sämtliche Götter und Heiligen, Engel und Dämonen zu beleidigen!«
Krebsrot lief sie an, und das Weiße ihrer Augen erinnerte an geronnene Milch.
Ihr Finger wurde zum Schwert, als sie donnerte:
»Ichverbiete Ihnen, sich meiner Tochter zu nähern …«
»Es ist mir überhaupt nie in den Sinn gekommen …«
»Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden, Monsieur Jonas. Es ist mir völlig egal, was Ihnen in den Sinn kommt oder nicht. Von mir aus können Sie sich vorstellen, was immer Sie wollen. Was ich will, ist, dass Sie sich von meiner Tochter fernhalten, und zwar so fern es nur geht. Und das werden Sie mir hier auf der Stelle schwören.«
»Mad…«
»Schwören Sie!«
Es war ihr herausgerutscht. Wie gern hätte sie die Ruhe behalten, mir bewiesen, dass sie Herrin der Lage war. Seit sie zur Tür hereingekommen war, hielt sie Angst und Wut, die in ihr gärten, eisern unter Verschluss. Gab erst dann ein Wort von sich, wenn sie sich ganz sicher war, dass es sich nicht wie ein Bumerang gegen sie selbst kehren würde. Und jetzt, in dem Moment, wo es darauf ankam, um jeden Preis die Stellung zu halten, verlor sie die Kontrolle. Sie versuchte, sich zu fassen, zu spät. Sie war am Rand eines Tränenausbruchs.
Sie presste die Hände gegen ihre Schläfen, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, konzentrierte sich auf einen festen Punkt, wartete, bis ihr Atem ruhiger ging und begann dann mit tonloser Stimme:
»Entschuldigen Sie. Ich werde im Allgemeinen nicht laut gegenüber meinen Mitmenschen … Diese Geschichte macht mir Angst. Zum Teufel mit aller Heuchelei! Früher oder später fallen die Masken immer. Ich möchte nicht, dass mir das passiert, nachdem ich das Gesicht verloren habe. Ich finde keinen Schlaf mehr … Ich wäre gern stark und entschlossen aufgetreten, aber es geht um meine Familie, meine Tochter, meinen Glauben und mein Gewissen. Das ist zu viel für eine Frau, die himmelweit davon entfernt war zu ahnen, dass sich zu ihren Füßen der Abgrund auftut. Wenn es wenigstens nur ein Abgrund wäre! Ich würde ohne zu zögern ins Leere springen, um meine Seele zu retten. Doch das würde das Problem nicht lösen.
DieseGeschichte darf einfach nicht sein, Monsieur Jonas. Die Geschichte zwischen Ihnen und meiner Tochter. Sie darf nicht stattfinden. Es gibt gar keinen Grund dafür, keine Berechtigung! Das müssen Sie begreifen, jetzt und für immer. Ich möchte ruhigen Herzens nach Hause gehen, Monsieur Jonas. Ich will meinen Frieden wiederfinden. Émilie ist ein Kind. Ihr Herz klopft bald so, bald so. Sie ist imstande, sich in jedes beliebige Lachen zu verlieben, verstehen Sie? Und ich möchte auf keinen Fall, dass sie sich in Ihr Lachen verliebt. Deshalb bitte ich Sie um Gottes und Seiner Propheten Jesus und Mohammed willen, versprechen Sie mir, sie nicht zu ermutigen. Das wäre grauenhaft, unmoralisch, obszön, wir dürfen es einfach nicht zulassen.«
Sie bemächtigte sich meiner Hand, quetschte mir die Finger. Das war nicht mehr die Frau, von der ich einmal geträumt hatte. Madame Cazenave hatte ihren Reizen entsagt, ihrem prickelnden Zauber, ihrem ätherischen Thron. Eine Mutter stand vor mir, in Panik beim Gedanken, Gottes Zorn auf sich zu ziehen und in ewiger Schmach und Schande zu enden. Sie sah mich flehentlich an. Ein Wimpernschlag von mir, und sie würde in der Hölle landen. Ich schämte mich, über eine Frau, die ich einmal geliebt hatte, so viel Macht zu besitzen, dass ihr meinetwegen ewige Verdammnis drohte, zumal ihre großzügige Hingabe in meinen Augen
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