Die Schuld wird nie vergehen
teuer und gut bewacht. Die drei Geb äude standen etwas abseits von der Straße. Eine gepflegte Rasenfläche trennte sie von dem mit Spitzen versehenen, schmiedeeisernen Zaun, der das ganze Gelände umgab. Man wurde nur eingelassen, wenn man den Wachposten am Eingang überzeugen konnte, dass man geschäftlich mit Senatoren, Bundesrichtern, Filmstars und anderen Angehörigen der Elite zu tun hatte, die in dem bewachten Komplex residierten.
Serenity Manor hatte sich schlicht geweigert, Victor Hobson ohne gerichtliche Vorladung zu Vanessa zu lassen. General Morris Wingate erkl ärte Hobson, er wolle nicht, dass seine Tochter aufgeschreckt werde. Er fügte hinzu, dass Vanessa ernsthafte geistige Probleme habe und ohnehin keine verlässliche Zeugin sei. Hobson hatte von einem Freund bei der Telefongesellschaft einen Gefallen einfordern müssen, um Vanessas Wohnungsnummer zu bekommen, sowie seinen FBI-Status und eine ziemlich unverhüllte Drohung ins Feld führen müssen, um den Türsteher und den Sicherheitsbeamten an der Rezeption zu überzeugen. Während er mit dem Aufzug in den zwanzigsten Stock hinauffuhr, dachte er darüber nach, was die Wingates wohl verbargen. Vanessas Vater hatte seine Tochter schon aus dem Krankenhaus in Lost Lake weggeschafft, als Hobson dort eintraf. Wingate wollte ihr, wie er behauptete, die hervorragende Pflege angedeihen lassen, die das Serenity Mayor bot. Alle Ersuchen, die Patientin befragen zu dürfen, waren von den Ärzten des psychiatrischen Krankenhauses abgeschmettert worden. Angeblich wollten sie ihre Patientin nur schützen. Es wäre ihren Worten zufolge zu traumatisch für eine derartig labile Pers önlichkeit, wenn sie die Schrecken von Lost Lake erneut durchleben müsste.
»Wer ist da?« fragte Vanessa nervös, nur Augenblicke, nachdem Hobson an ihrer Tür geklingelt hatte. Er war nicht angemeldet. Der Türsteher und der Sicherheitsbeamte kannten die Konsequenzen, die es für sie hatte, wenn sie Vanessa gewarnt hätten.
»Federal Agent Victor Hobson.« Er hielt seinen Dienstausweis vor das Guckloch. »Darf ich hereinkommen, Miss Wingate?«
»Worum geht es?«
»Darüber würde ich hier draußen, wo uns alle Nachbarn hören können, nur sehr ungern reden.«
»Ich will nicht mit Ihnen sprechen.«
Hobson spielte seine Trumpfkarte aus. »Carl Rice hat wieder getötet, Miss Wingate. Ich möchte nicht, dass er noch jemanden verletzt, Sie eingeschlossen.«
Auf der anderen Seite der T ür blieb alles still. Hobson fragte sich, ob Vanessa überhaupt noch da stand. Schließlich klickte ein Schloss, eine Sicherheitskette und ein Riegel klapperten, die Tür schwang auf, und Vanessa Wingate sah ihn misstrauisch an, als sie zur Seite trat, um ihn hereinzulassen.
Auf Hobson wirkte General Wingates Tochter vollkommen ver ängstigt. Sie sah blass und erschöpft aus, ihre Kleider hingen von ihren schmalen Schultern herunter, und die dunklen Ringe unter ihren Augen verrieten, dass sie nicht gut schlief.
»Danke, dass Sie mich hereinlassen, Miss Wingate.«
»Kohler«, antwortete sie. »Ich führe den Namen meines Vaters nicht mehr.«
Hobson erinnerte sich, dass ihre Mutter Charlotte Kohler hieß. Sie war bei einem Unfall gestorben, als ihre Tochter noch in die Middleschool ging
Vanessa schloss die Tür und kehrte Hobson den Rücken zu, während sie in das geräumige Wohnzimmer vorausging. Eine Zigarette qualmte in einem Aschenbecher auf einem polierten Mahagoni-Couchtisch. Sie zog die Schultern hoch, als wäre ihr kalt, aber in dem großen Marmorkamin brannte ein Feuer. Die Temperatur in dem Raum betrug bestimmt mehr als dreißig Grad.
»Es war nicht gerade einfach, Sie zu finden«, begann Hobson. »Ich dachte, Sie seien zu Hause in Kalifornien, aber Ihr Vater meinte, Sie seien ausgezogen.«
»Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben«, erwiderte Vanessa verärgert. »Ich rede nicht mit ihm. Er hat mich hier eingesperrt.«
»Mir wurde gesagt, dass Sie psychiatrische Hilfe benötigten, weil Sie durch Ihre Erlebnisse in Lost Lake traumatisiert worden seien.«
Vanessa l ächelte kalt. »Das ist die Party-Version. Man zahlt diesen Quacksalbern im Serenity Manor eine Menge Geld, damit sie sich daran halten.«
»Ich habe versucht, mit Ihnen zu reden, als Sie noch im Krankenhaus lagen, aber die Arzte wollten mich nicht zu Ihnen lassen.«
»Damals wäre ich auch keine große Hilfe für Sie gewesen«, antwortete sie ruhig. »Ich stand die meiste Zeit unter Drogen. Das letzte Jahr ist wie
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