Die Schuld wird nie vergehen
einbildete.
Vanessa konnte weder nach Hause noch zur Arbeit gehen. Sie schämte sich, Sam unter die Augen zu treten. Um zwölf musste sie das Motel verlassen, also würde sie solange in ihrem Zimmer bleiben, bis man sie hinauswarf. Vielleicht war ihr bis dahin ja eine brauchbare Idee gekommen.
Vanessa bestellte Frühstück beim Zimmerservice. Während sie darauf wartete, schaltete sie den Fernseher ein. Sie landete bei Fox, einem Kabelnachrichtenkanal, mitten in einem Bericht über einen pensionierten General: Morris Wingate hatte Mitte der achtziger Jahre seinen Abschied genommen und war etliche Jahre lang aus der Öffentlichkeit verschwunden. Anfang der neunziger Jahre hatte er viel Geld in Computex investiert, der aufstrebenden Softwarefirma eines Genies namens Simeon Brown. Wingates gute Kontakte zum Militär verhalfen der Firma zu lukrativen Aufträgen. Vor einigen Jahren war Brown ums Leben gekommen, als sein Privatjet bei einem Urlaubstrip nach Griechenland abgestürzt war. Daraufhin hatte Wingate die Firma übernommen. Letztes Jahr war er zu einer Art Nationalheld geworden, als er sechs seiner Angestellten gerettet hatte. Sie arbeiteten bei einem Wiederaufbauprojekt in Afghanistan und waren gekidnappt worden. Der General konnte seine Leute lebendig befreien, nachdem er eine Privatarmee in das zerklüftete Gebirge zwischen Pakistan und Afghanistan geführt hatte. Zur Zeit lieferte er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem amtierenden Präsidenten Charles Jennings um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei.
»Terroristen müssen lernen, in Angst und Schrecken vor der Macht unseres großen Landes zu leben«, erklärte General Wingate einer großen, elegant gekleideten Zuhörerschaft im Ballsaal eines Hotels in Los Angeles. Der Nachrichtensprecher erwähnte, dass ein Platz tausend Dollar kostete.
»Terroristen müssen lernen, dass ihre Familien, ihre Freunde und jedes Land, das sie aufnimmt, teuer für ihre feigen Handlungen bezahlen. Wir müssen Gewalt mit Gewalt vergelten und wir dabei gnadenlos vorgehen.«
Der Anblick von Wingate, der wie ein Zinngott auf seine heftig applaudierenden Zuhörer herab lächelte, stachelte Vanessas Wut an. Sie schaltete auf CNN um, wo gerade das »Little-League-Eltern-Syndrom« diskutiert wurde. Die blonde Moderatorin hörte fasziniert und mit glänzenden Augen einem berühmten Psychologen zu, der die Gefahren schilderte, die es mit sich brachte, wenn sich Eltern zu emotional in die Aktivitäten ihrer Kinder einmischen.
»Das war wirklich faszinierend, Mr. Clarke«, erklärte die Blondine schließlich. »Doch schauen wir uns noch ein paar Bilder an. CNN hat soeben exklusives Material von den schrecklichen Vorfällen bei diesem Little-League-Spiel in Oregon erhalten. Es stammt von Ralph und Ginnie Shertz, den Eltern eines Kindes einer der Mannschaften.«
Das Amateurvideo war offenbar mit einer teuren Digitalkamera aufgenommen worden, denn die Bilder waren gestochen scharf. Allerdings besaß Ralph Shertz nicht das Talent von Spielberg. Die Bilder sprangen willkürlich zwischen verschiedenen Szenen hin und her. Die eigentliche Action begann, als ein großer, bärtiger Mann einen schlanken Mann mit einer Brille anbrüllte. Ein dritter Mann mit einem Pferdeschwanz stand mit dem Rücken zur Kamera daneben. Der Hüne holte zu einem Schlag aus. Nur Momente später fasste der Bärtige sich an den Hals und wand sich auf dem Boden.
Als sich die Kamera wieder auf den Mann mit dem Pferdeschwanz richtete, war der im Begriff, einen Polizisten gekonnt zu Boden zu werfen. Ein zweiter Polizist schoss auf ihn. Der Mann mit dem Pferdeschwanz drehte sich zu dem Beamten herum. Vanessa blieb beinahe das Herz stehen. Sie lief zum Fernsehgerät und starrte auf den Bildschirm. Der Mann mit dem Pferdeschwanz stürzte, und der Rücken des Polizisten verdeckte sein Gesicht. Die Kamera zoomte dichter an das Geschehen heran. Der Mann mit dem Pferdeschwanz war bewusstlos, aber es war dem Vater an der Kamera gelungen, eine Nahaufnahme von dessen Gesicht zu machen, bevor der Polizist, der geschossen hatte, die Hand vor das Objektiv legte
Damit endete die Aufnahme, und Dr. Clarke hob mit einer Erklärung an, aber Vanessa bekam kein Wort mehr davon mit. Was sie gesehen hatte, elektrisierte sie. Endlich bot sich ihr eine Chance zu beweisen, dass sie nicht verrückt war. Zuerst musste sie jedoch dafür sorgen, dass Sam in Sicherheit war.
Sie zog ihre Brieftasche aus ihrer Handtasche. In
Weitere Kostenlose Bücher