Die Schuld wird nie vergehen
dass Sie ihren Namen von mir haben. Ich benachrichtige sie gleich als erstes morgen früh. Also rufen Sie bei ihr gegen zehn von Ihrer Arbeitsstelle aus an. Die Ärztin wird sich um Sie kümmern.«
»Aber das Geld ... ?«
Vanessa drückte Terris Hand. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Nehmen Sie diese Angelegenheit erst einmal in Angriff.«
»Ich möchte so gern ein Baby«, schluchzte Warmouth. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«
»Das liegt bei Ihnen. Niemand zwingt Sie dazu. Denken Sie darüber nach. Ich weiß, dass es eine schwere Entscheidung ist.« Vanessa machte eine Pause. »Sie könnten Larry auch verlassen. Sie trennen sich von ihm und bekommen Ihr Baby.«
Warmouth sah sie bestürzt an. »Ich könnte Larry niemals verlassen. Ich liebe ihn.«
»Würde er denn ein Kind akzeptieren, das nicht von ihm ist?«
»Nein, niemals! Er würde mich umbringen! Für ihn als Mann ist das sehr wichtig. Wenn er herauskriegt, dass ich ihn betrogen habe ... und dabei liebe ich ihn doch! Ich will ihn nicht verlassen.« Sie wirkte sichtlich gequält
Vanessa stand auf. »Ich rufe meine Freundin morgen früh an. Alles Weitere liegt dann bei Ihnen.« Sie legte das Geld für ihre Getränke auf den Tisch und steckte das Diktiergerät wieder in die Tasche. »Kommen Sie, verschwinden wir hier.«
Vanessa lächelte. »Ich begleite Sie zu Ihrem Wagen. Damit die Aliens Sie nicht holen.«
Terri Warmouth war nicht nach Lächeln zumute. »Ich wünschte, sie würden es tun«, sagte sie.
Vanessa fuhr von der Kneipe in die Büros vom Exposed, um die Geschichte über eine gigantische Ratte zu Ende zu schreiben, die in Slums Babys stahl. Angeblich war die Ratte so groß wie ein deutscher Schäferhund. Patrick Gorman, der Boss der Zeitung, hatte sich diese Story bei der wöchentlichen Redaktionskonferenz ausgedacht und Vanessa dazu verdonnert, sie zu schreiben. Sie fand diese Idee geschmacklos und hatte vehement protestiert. Schließlich hatte sie Gorman die Zusage abgerungen, sie gegen Terri Warmouths Entführungsmärchen durch Aliens ersetzen zu dürfen. Daraus würde ja nun leider nichts werden. Das Magazin residierte in zwei Stockwerken eines ausgebauten Lagerhauses mit Blick auf die Kuppel des Capitols. Dieses Viertel von Washington schwankte zwischen Verfall und Vornehmheit. In denselben Blöcken lagen verlassene Gebäude und Lofts, Behausungen von Junkies und Obdachlosen und renovierte Reihenhäuser, die jungen, aufstrebenden Arbeitnehmern gehörten. Vanessa schloss die Haustür auf, sperrte sie hinter sich zu und ging an der Leserbriefredaktion vorbei. Als sie bei der Zeitung anfing, hatten deren Obszönitäten sie noch amüsiert. In den letzten Jahren waren die Beiträge jedoch so bizarr geworden, dass sie Vanessa schon fast pervers vorkamen.
Sie ging die Treppe zum ersten Stock hinauf und meldete sich beim Sicherheitsbeamten, der ihr sagte, dass niemand sonst in der Redaktion war. Das war Vanessa nur recht. Nach ihrem Treffen mit Terri Warmouth sehnte sie sich nach Ruhe. Die Frau hatte sie erschöpft. Bedürftige Menschen flößten Vanessa immer Unbehagen ein, eigentlich merkwürdig, angesichts ihres Berufs. Die Regenbogenpresse lebte von den exotischen und psychotischen Geschichten, die ihnen Leute erzählten, die Schwierigkeiten hatten, sich in der realen Welt zurechtzufinden. Die Menschen, die Vanessa interviewte, glaubten für gewöhnlich fest an eine andere Welt, in der so viel Merkwürdiges und Wundervolles passierte, dass sie in ihr den Ansprüchen ihrer realen und meist trostlosen Existenzen entfliehen konnten.
Vanessa tippte ihren Sicherheitscode ein und schloss mit ihrem Schlüssel die Tür zum zweiten Stock auf. Dort wurde gewöhnlich fleißig an der nächsten Ausgabe gearbeitet. Das Büro wirkte durch seine gewölbte Decke größer als es in Wirklichkeit war. Die Decke war in demselben Grau gestrichen wie die dicken Dachbalken. Vanessa brühte sich eine Tasse Instantkaffee auf, bevor sie die Neonbeleuchtung anschaltete. Sie beleuchtete die Verschläge, in denen die Reporter arbeiteten. Ihre Kabine lag auf der anderen Seite des Ganges neben einem deckenhohen Bücherregal, in dem Ausgaben des Exposed und anderer Exemplare der Boulevardpresse lagen. Daneben zwängten sich zwei schwarze Aktenschränke aus Metall und ein Schreibtisch, auf dem ihr Karteikasten und ihr Computerbildschirm standen.
Vanessa gehörte zu den wenigen Auserwählten, die an einem Fenster saßen, aber es war zu dunkel, als dass sie
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