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Die Schuld

Titel: Die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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geführt. Adelfas Bruder dagegen hatte gesagt, alle Straßenmorde wirkten zwar zufällig, aber es gebe immer einen Grund.
    An einem Tisch auf der einen Seite des Gerichtssaals saßen die Vertreter des Staates. Die Polizisten flüsterten mit den Anklägern, während diese Akten und Berichte durchblätterten und sich tapfer bemühten, mit ihrem Papierkram nicht hinter den vorgeführten Kriminellen zurückzubleiben. Auf der anderen Seite stand ein Tisch für die Rechtsanwälte, die kamen und gingen, während die Verdächtigen an dem Richter vorbei defilierten. Der Richter seinerseits rasselte die Anklagen herunter: Drogendelikte, dazwischen ein bewaffneter Raubüberfall, ein etwas unklares Sexualdelikt, erneut Drogengeschichten und immer wieder Verletzung der Bewährungsauflagen. Wenn die Namen der Angeklagten aufgerufen wurden, brachte man sie vor den Richter, wo sie wortlos warteten. Nachdem Papierkram und Formalitäten erledigt waren, wurden sie unsanft weggezerrt und wieder in ihre Zellen gebracht.
    »Tequila Watson«, rief schließlich einer der Gerichtsdiener.
    Ein Kollege half Tequila aufzustehen. Während er mit kleinen Trippelschritten auf den Richter zustolperte, hallte das Klirren der Ketten durch den Raum.
    »Sie sind des Mordes angeklagt, Mr Watson«, sagte der Richter laut. »Wie alt sind Sie?«
    »Zwanzig«, antwortete Tequila mit gesenktem Blick.
    Die laut vorgebrachte Mordanklage war niemandem im Gerichtssaal entgangen. Einen Augenblick lang he rrschte Schweigen. Die Mienen der anderen Kriminellen verrieten Bewunderung, die der Rechtsanwälte und der Polizisten Neugier.
    »Können Sie sich einen Anwalt leisten?«
    »Nein.«
    »Hätte mich auch gewundert«, murmelte der Richter, während sein Blick bereits zum Tisch der Anwälte schweifte. Beim Obersten Gericht des Distrikts Columbia, Abteilung Kapitalverbrechen, gab es fruchtbare Felder zu beackern, um die sich Tag für Tag die Anwälte des Büros der Pflichtverteidiger, des OPD, bemühten. Das OPD war die letzte Hoffnung aller mittellosen Angeklagten. Siebzig Prozent der Prozesse wurden von vom Gericht bestellten Anwälten übernommen, von denen in der Regel immer ein halbes Dutzend anwesend war. Pflichtverteidiger erkannte man an ihren billigen Anzügen, dem ramponierten Schuhwerk und den vor Unterlagen berstenden Aktentaschen. Doch ausgerechnet in diesem Augenblick war nur ein einziger anwesend, nämlich der ehrenwerte Clay Carter II., der kurz vorbeigeschaut hatte, um sich um zwei Verbrecher deutlich weniger schweren Kalibers zu kümmern. Jetzt fand er sich allein auf weiter Flur und hatte nur einen Wunsch - diesen Gerichtssaal so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Er blickte nach links und nach rechts und begriff dann, dass der Richtet tatsächlich ihn ins Visier genommen hatte. Wo waren die anderen Pflichtverteidiger abgeblieben?
    Vor einer Woche hatte Mr Carter einen Mordfall abgeschlossen, der ihn fast drei Jahre lang beschäftigt hatte. Als das Urteil gefällt war, wurde sein Mandant in ein Gefängnis verfrachtet, das er sein Leben lang nicht mehr verlassen würde zumindest nicht auf dem offiziellen Weg. Clay Carter war ziemlich glücklich darüber, dass dieser Mandant jetzt hinter Gittern saß, und erleichtert, weil im Augenblick keine Akten auf seinem Schreibtisch herumlagen, die irgendetwas mit Mord zu tun hatten.
    Doch das sollte sich jetzt offensichtlich ändern.
    »Mr Carter?«, fragte der Richter. Das war kein Befehl, sondern eine Einladung, die ihm zugedachte Rolle zu spielen. Man erwartete von ihm, dass er vortrat und sich wie ein Pflichtverteidiger verhielt, dessen Aufgabe eben darin bestand, die Mittellosen zu vertreten, egal, worum es ging. In Anwesenheit der Staatsanwälte und der Polizisten durfte er sich keine Verunsicherung anmerken lassen. Carter musste schlucken, aber er zuckte nicht zusammen. Möglichst beherzt trat er vor den Richter, als wollte er sofort ein Schwurgerichtsverfahren beantragen. Der Richter reichte ihm die eher dünne Akte, und Carter blätterte sie flüchtig durch, ohne Tequila Watsons flehendem Blick Aufmerksamkeit zu schenken. »Wir werden auf nicht schuldig plädieren, Euer Ehren«, sagte er dann.
    »Danke, Mr Carter. Heißt das, dass Sie die Verteidigung übernehmen?«
    »Zumindest fürs Erste.« Carter tüftelte bereits aus, unter welchem Vorwand er diesen Fall einem seiner Kollegen aufhalsen konnte.
    »Gut, vielen Dank«, sagte der Richter und griff nach den Unterlagen zum nächsten Fall.
    Für

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