Die Schuldlosen (German Edition)
vorzeitig entlassener Mörder gewesen war.
Und diesen Universalschlüssel hätte er gar nicht gebraucht, wenn er … Die wahrscheinlichste Variante fiel ihr erst ein, als sie sich nach dem Duschen die Zähne putzte. Sie hetzte noch einmal ins Wohnzimmer und riss das Schubfach der Anrichte auf, in dem sie ihr Büromaterial aufbewahrte: Heftklammern, Kugelschreiber, Briefumschläge, die Kladden für die tägliche Buchführung.
Irgendwo dazwischen hätte ein Kunstledermäppchen mit den beiden Ersatzschlüsseln liegen müssen, von denen einer die Haus- und der zweite die Wohnungstür öffnete. Das dritte Schlüsselpaar, das ihr damals mit dem Mietvertrag ausgehändigt worden war, befand sich in Garsdorf. Sie hatte es Gerhild überlassen – für Notfälle.
Sie räumte alles aus, um vollkommen sicher zu sein, dass das Kunstledermäppchen wirklich fehlte. Hatte Alex sich vielleicht nur deshalb an Saskia herangemacht? Sie veranlasst, ihm die Notfallschlüssel von Gerhild zu borgen , damit er sich in Heikes neuem Domizil umschauen und brauchbare Gegenstände einstecken konnte? Mit den Ersatzschlüsseln konnte er jederzeit kommen und gehen, wie es ihm beliebte. Sogar mitten in der Nacht. Keine schöne Vorstellung.
Wie oft mochte er schon hier gewesen sein? Und was hatte er gemacht? Sich in ihrem Bett einen runtergeholt oder in die Wanne gepinkelt? Den gemahlenen Kaffee in der Dose mit Strychnin oder sonst was versetzt?
Sie überlegte kurz, einen Schlüsseldienst zu bestellen und das Türschloss auswechseln zu lassen. Es wäre die sicherste Lösung gewesen. Aber in Grevingen gab es keinen Schlosser mit Nachtdienst, und einen aus Köln kommen zu lassen schien ihr dann doch etwas übertrieben und viel zu teuer. Fürs Erste musste sie sich irgendwie behelfen.
Sie ging zurück in die Diele. Abgeschlossen war die Wohnungstür bereits. Sie steckte den Schlüssel ein, um das Schloss zu blockieren, und legte zusätzlich die Sperrkette vor, die noch von der Vormieterin stammte. Auch wenn die nicht sehr vertrauenerweckend aussah, würde die Kette verhindern, dass sie im Schlaf überrascht wurde. Sie aufzusprengen musste zwangsläufig Lärm verursachen. Da bliebe wohl etwas Zeit, um laut zu schreien, die Nachbarn zu wecken oder den Notruf zu wählen, meinte Heike und wähnte sich für die Nacht sicher.
Als sie am Samstagmorgen in Garsdorf die Brötchen abholte, überlegte sie, mit ihrem Bruder zu reden. Aber Wolfgang war ein Stoffel, der würde vermutlich nicht mal begreifen, was sie ihm klarzumachen versuchte. Gerhild um die letzte halbe Stunde Schlaf zu bringen, nur um feststellen zu lassen, dass die Notfallschlüssel an ihrem Platz lagen, widerstrebte ihr auch. Um die kleine Gefälligkeit konnte Alex das Kind schon letzte Woche gebeten und Saskia die Schlüssel längst wieder zurückgelegt haben.
Als Gerhild mittags mit der zweiten Lieferung kam – nur etwas Kleingebäck, mehr lohnte sich samstags nicht –, brachte sie Saskia wieder einmal mit und behauptete: «Morgen Nachmittag um drei läuft im Kino Wickie und die starken Männer . Den würde Saskia gerne sehen, nicht wahr, Schatz?»
Das Kind zuckte desinteressiert mit den Achseln und deutete ein Nicken an. Nach allzu gerne sah das nicht aus.
«Vielleicht hast du Lust mitzukommen», fuhr Gerhild fort.
Nicht wirklich. Es war nicht Heikes Art, auf die Weise Süßholz zu raspeln. Andererseits … «Klar geh ich mit», packte sie die Gelegenheit beim Schopf. «Ich kaufe dir sogar eine Schachtel Eiskonfekt. Unter einer Bedingung, dass du mir jetzt eine ehrliche Antwort auf eine sehr wichtige Frage gibst.»
Gerhild runzelte zwar im ersten Moment missbilligend die Stirn, schaute dann aber genauso gespannt wie Saskia, deren Aufmerksamkeit auf jeden Fall geweckt war.
«Hat dein Papa dich gebeten, ihm Schlüssel zu leihen?»
Saskia schüttelte den Kopf. Gerhild fragte verständnislos: «Welche Schlüssel?»
«Während ich gestern Abend bei euch war, ist er hier eingedrungen und hat mir das hinterlassen,», erklärte Heike, zückte ihr Handy und zeigte Gerhild die Aufnahmen, ehe sie weitersprach: «Da er die Tür nicht aufgebrochen hat, hatte er entweder einen Schlüssel, oder jemand hat ihm aufgeschlossen. Jetzt hat er jedenfalls meine Ersatzschlüssel.»
«Hast du die Polizei …», begann Gerhild und brach ab, als Heike den Kopf schüttelte. Sie erklärte, warum sie darauf verzichtet hatte. Das leuchtete Gerhild zwar ein, trotzdem fand sie: «Aber du kannst nicht so
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