Die Schuldlosen (German Edition)
Jentsch dürfte an Janice Hecklers Tod genauso schuldlos sein wie Sie.»
«Na, dann kommen ja bloß noch vierzig oder fünfzig andere aus dem Dorf in Frage», meinte Alex und schlug vor: «Vergessen Sie’s.»
Greta Brand schüttelte den Kopf. «Den Teufel werde ich. Theoretisch könnte es zwar irgendeiner oder irgendeine aus dem Ort gewesen sein, das habe ich ja damals schon gesagt. Aber mit Theorien kommt man nicht weit, wenn man sie nicht beweisen kann. Halten wir uns jetzt mal an das, was wir mit Sicherheit wissen. Da lag das tote Mädchen halb nackt im Wasser, es waren zwei Männer am Tatort, der eine sturzbetrunken, der andere nüchtern. Und alles, was wir über die entscheidenden Minuten wissen, haben Sie von Lothar Steffens gehört.»
«Weil ich mich nicht an diese Minuten erinnere», sagte Alex.
«Eben», stimmte Greta Brand zu. «Und deshalb gibt es keine Garantie, dass Lothar Steffens in jedem Punkt die Wahrheit gesagt hat. Ich sehe zum Beispiel einen eklatanten Widerspruch in seiner Schilderung der Suche nach Ihnen. Er hatte Ihnen empfohlen, den Rausch in der elterlichen Villa auszuschlafen, fuhr dann aber zuerst Richtung Grevingen. Das klingt für mich absurd.»
«Er dachte halt, ich hätte unbedingt mit Heike reden wollen», sagte Alex. «Später tat ihm das entsetzlich leid.»
«Hat er behauptet», hielt Greta Brand dagegen. «Das muss aber ebenso wenig zutreffen wie seine Fahrt auf der Landstraße. Gehen wir mal davon aus, dass er sofort zur Breitegasse fuhr. Und irgendwo auf dem Weg zwischen der Linde und ihrem Elternhaus stöckelte ein zurückgewiesenes Mädchen auf High Heels. Auf solchen Dingern ist man nicht sehr schnell. Und Lothar war immer der Tröster für die Abgewiesenen.»
«Nicht für Janice», stellte Alex richtig. «Die war für ihn der letzte Dreck.»
«Zugegeben», räumte die Anwältin ein, «das ist der schwache Punkt in meiner Theorie.»
Nachdem Greta Brand sich verabschiedet hatte, überlegte Alex, ob er am nächsten Vormittag mit Silvie reden sollte, um in Erfahrung zu bringen, was zwischen ihr und Heike vorgefallen war und warum sie Heike gegen ihn aufgebracht hatte. Aber dann entschied er sich für den direkten Weg.
Dienstags holte er Saskia von der Schule ab, das hatte er auch montags und freitags getan. Saskia schien die Heimlichkeit zu genießen, doch für ihn war es keine Dauerlösung, mit ihr durch die Gässchen und über den Friedhof zu schleichen. Er wollte sie nachmittags bei sich haben, morgens und abends für sie da sein. Deshalb fuhr er schon um halb drei nach Garsdorf, um mit Heike zu reden. Ganz ruhig und sachlich, dazu war er fest entschlossen. Bei allem, was ihm lieb und teuer war, wollte er schwören, dass er nichts gemacht hatte, und sie dann bitten, ihre starre Haltung noch einmal zu überdenken – Saskia zuliebe. Die halbe Nacht hatte er im Geist an diesem Gespräch gefeilt.
Er parkte weit hinten auf dem großen Platz, stieg aus und schlenderte in einem weiten Bogen um das Blockhaus herum zu den drei Ulmen vor dem alten Bahnhofsgebäude. Die Baumstämme waren weit genug vom Kaffeebüdchen entfernt und boten ausreichend Deckung. Er konnte den Gastraum einsehen und einen günstigen Moment abpassen.
Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es herrschte zwar nicht viel Betrieb, aber es war ein ständiges Kommen und Gehen. Bis kurz vor vier drückte er sich mal hinter den einen, mal hinter den anderen Stamm, spähte links oder rechts am jeweiligen Baum vorbei, immer in Sorge, irgendwer könne stutzig werden und Heike aufmerksam machen, die dann wieder eine Streife herzitierte.
Weil ein Kleinlaster auf dem Vorplatz wendete und ihm die Sicht versperrte, verpasste er auch noch den einzig wirklich günstigen Moment, als sie die Vordertür verschloss. Als er wieder ein freies Blickfeld hatte, war Heike schon dabei, die Tabletts aus der Kühlung zusammenzuschieben.
Wie gut er das alles noch kannte. Jetzt wurde gespült, Theke und Kühlung ausgewaschen. Dann würde sie das Putzzeug aus dem Einbauschrank neben dem kleinen Waschraum holen und etwa eine halbe Stunde später zur Hintertür heraustreten, über die schmale Veranda zu ihrem Auto gehen … Es wurde Zeit, sich einen anderen Beobachtungsposten zu suchen.
Wieder schlug er einen weiten Bogen, diesmal zurück zum Parkplatz. Dann lungerte er nahe der Veranda herum, nur nicht zu nahe an ihrem Honda, damit keiner, der ihn zufällig sah und erkannte, auf dumme Gedanken kam, wenn Heike wieder
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