Die Schuldlosen (German Edition)
angenehmes Klima fanden – hatte es im Hause Jentsch nie gegeben.
Nirgendwo lag oder hing ein Kleidungsstück. Auch Heikes Rucksack war nicht zu sehen. Alles sprach dafür, dass Heike gar nicht da war. Wahrscheinlich war ihr die Wohnung nach dem jüngsten Zwischenfall nicht mehr sicher genug erschienen. Alex konnte doch jederzeit rein. Er hätte es sich hier schon am frühen Nachmittag gemütlich machen und in aller Seelenruhe auf Heike warten können, solange das Schloss nicht ausgewechselt war.
Gerhild verstand nicht, warum Heike das nicht längst veranlasst hatte. Seit der Sache mit den Rosen war doch nun wirklich Zeit genug gewesen, einen Schlüsseldienst zu beauftragen. Oder hatte Heike geglaubt, die Anwältin könne Alex an die Kandare legen, und war vorgestern eines Besseren belehrt worden?
Dass Heike sich nach dem Zusammenstoß am Dienstag nicht darum bemüht hatte, für einige Nächte in Garsdorf unterzukommen, war eher nachvollziehbar. Da hätte sie auf ihre Privatsphäre verzichten und sich im Gegenzug diverse Vorträge von ihrer Mutter anhören müssen. Sie hatte garantiert einen Unterschlupf, der ihr genehmer war.
Gerhild nahm an, dass ihre Schwägerin bei einem Mann übernachtet und verschlafen hatte. So wie vor zwei Jahren, als Heike sich mit dem biederen Handwerker eingelassen hatte. Viel wusste Gerhild nicht über den verwitweten Dachdecker, nur dass er ein großes, komfortables Haus mit Whirlpool besaß und an einem Montagmorgen ungern um vier in der Früh aus dem Schlaf gerissen wurde. Er hatte – von Heike unbemerkt – den Wecker einfach auf sechs Uhr gestellt, das war die Zeit, zu der er aufstehen musste.
Da hatte Wolfgang auch um Viertel vor fünf angerufen, weil Heike nicht erschien. Und Heike hatte im ersten Stock nichts gehört, weil ihr Rucksack mit dem Handy im Erdgeschoss oder beim Whirlpool lag. Sie war erst eine gute Stunde später in Garsdorf eingetrudelt und hatte ihrem Bruder weisgemacht, das Auto sei nicht angesprungen und der Akku vom Handy leer gewesen.
Bei der Mittagslieferung hatte sie Gerhild dann erzählt, was tatsächlich passiert war. Geschimpft hatte sie, dass man einer bestimmten Sorte Mann nicht den kleinen Finger reichen dürfe, weil die sofort nach dem Arm griffen und letztendlich die ganze Frau in die Hände bekommen wollten.
Über die Erinnerung an den biederen Handwerker, der von einer festen Beziehung geträumt hatte und überglücklich gewesen wäre, wenn Heike bei ihm eingezogen und nicht bloß mal über Nacht geblieben wäre, beruhigte Gerhild sich. Der Kontakt war nicht völlig abgerissen, das wusste sie. Hin und wieder erzählte Heike, er hätte in der Nähe zu tun gehabt und seine Mittagspause im Kaffeebüdchen verbracht. Wenn Heike ihn um Asyl gebeten hatte, lag der Rucksack jetzt wohl wieder im Erdgeschoss des großen Hauses oder beim Whirlpool, wo das Handy nur nutzlos vor sich hin gedudelt hatte.
Blieb noch das Bad. Dass diese Tür als einzige geschlossen war, wertete Gerhild nicht als Alarmsignal. Im Hause Jentsch wurde die Badezimmertür auch immer zugemacht, damit die Wärme blieb, wo man es gerne warm hatte. Sie rief noch einmal «Heike!» und klopfte sogar der Form halber an, ehe sie die Badezimmertür öffnete und ihre Vermutung auf den ersten Blick bestätigt sah.
Das Bad war ebenso überschaubar wie die anderen Räume. Rechter Hand, unmittelbar neben der Tür, stand die Waschmaschine, die als Ablagefläche für einen Stapel Handtücher, zwei Cremedöschen, eine Flasche Körperlotion, eine Tube Handcreme, einen Deoroller und den Föhn diente, weil das Schränkchen aus der alten Wohnung in dieses Bad nicht reingepasst hatte. Gegenüber der Maschine befand sich das Klo, daneben das Waschbecken mit Handtuchhalter, einem Spiegel und einer Ablage, auf der Zahnpasta und eine elektrische Zahnbürste lagen. Unter dem Waschbecken hatte Heike einen kleinen Abfallbehälter mit Schwingdeckel und den Vorratsbehälter mit den Ersatzrollen platziert.
Die Badewanne, die Heike meist als Dusche nutzte, war nicht auf Anhieb zu sehen, weil sie links stand und von der offenen Tür zur Hälfte verdeckt wurde, den Rest verbarg der Duschvorhang, der komplett vorgezogen war.
Es gab genau genommen keinen Grund, den Vorhang zurückzuziehen und auch noch die Wanne zu kontrollieren. Gerhild tat es trotzdem, vielleicht nur, weil Heike erzählt hatte, sie hätte auch dort nachgeschaut, als sie feststellen musste, dass die Ersatzschlüssel verschwunden waren. Als
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