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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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jedes Gramm gezittert?»
    «Weil man Babys erst mit nach Hause nehmen darf, wenn sie fünf Pfund wiegen», sagte Gerhild. «Wir alle hatten Angst, dass eine andere Frau dich sieht und mitnimmt, weil wir nicht die ganze Zeit neben dem Kasten aufpassen konnten.»
    Auch das leuchtete Saskia ein, erklärte sogar, warum Silvie nicht von Davids Kasten wich und ihn mit einer Hand festhielt. «Und wie kommen die Babys in die Brutkästen?», wollte sie noch wissen.
    «Wie ist das Jesuskind in die Krippe gekommen?», antwortete Gerhild mit einer Gegenfrage.
    Woher hätte Saskia das wissen sollen? Sie hatte den ersten Religionsunterricht doch noch vor sich. Wenn Opa zu Weihnachten die heilige Familie mit Ochs, Esel, Hirten, Schafen und ein paar Engelchen unter dem Tannenbaum verteilte, lag das Jesuskind immer schon drin beziehungsweise drauf. Es war nämlich so viel Stroh in der Krippe, dass es mit einem Gummiring um den Bauch festgehalten werden musste, damit es nicht herunterfiel.
    Eine Antwort auf die interessanteste aller Fragen gab es erst, als ihr ältester Cousin sich erbarmte. Max besuchte wie sein Bruder Sascha die Realschule in Grevingen und wusste so viel, dass Saskia oft aus dem Staunen nicht herauskam. Max wusste zum Beispiel, dass häufig große Steine, sogenannte Meteoriten, den Mond bombardierten und auf die Erde fielen, weil es im Himmel mal eine furchtbare Explosion gegeben hatte. Und Max wusste auch, dass kein Kind zwingend notwendig eine Mutter haben musste, dass es aber ohne Väter überhaupt keine Kinder gegeben hätte.
    Um Babys zu machen, brauchte man nämlich Kindersamen. Und den hatten die Männer. Und manche hatten so viel, dass sie welchen verschenken konnten. Den füllten sie in ein Röhrchen, das brachten sie zu einer Bank, wo Frauen, die keinen Mann hatten und trotzdem ein Baby wollten, sich etwas davon einspritzen ließen.
    Genauso gut konnte man mit dem Samen aber auch Retorten bepflanzen. Das waren kleine Glasschalen. Wenn das Baby in der Schale ungefähr so aussah wie ein Blümchen und so groß geworden war, dass man es mit einer Pipette aufnehmen konnte, ohne es kaputt zu machen – davon zeigte Max ihr sogar ein Bild auf seinem Computer –, wurde es in einen Brutkasten umgetopft.
    Solche Babys bekamen aber nur Frauen, die sehr viel Geld und keine Lust hatten, mit einem dicken Bauch herumzulaufen. Schauspielerinnen, Mannequins und Superstars. Die mussten immer schön sein und konnten sich so ein Baby leisten. Denn verständlicherweise war diese Methode sehr teuer.
    Mit anderen Worten: Saskia war alles andere als ein ungewolltes, ungeliebtes Kind, das seine leibliche Mutter so früh abgeschoben hatte, dass es sich nicht einmal mehr daran erinnerte. Sie war im Gegenteil ein überaus wertvolles Kind, das nach dieser Erkenntnis nur noch zwei Fragen hatte: Wo stand die Samenbank? Und wann konnte Max mal mit ihr dahin fahren?
    Es hätte ja sein können, dass ihr Spender noch mehr Röhrchen abgeben wollte und zufällig auch da war. Kennengelernt hätte Saskia ihn schon im vergangenen Sommer sehr gerne. Eine Mutter, die auch noch wissen wollte, ob sie sich die Zähne gründlich geputzt, Gesicht und Hände gewaschen, Haare gekämmt und die Schuhe ordentlich zugemacht hatte, vermisste sie nicht. In der Hinsicht reichten ihr Oma und Tante Gerhild. Aber ein Vater, das wäre bestimmt schön gewesen, auf jeden Fall ganz anders als ein Onkel und ein Opa, die überhaupt keine Zeit zum Schmusen hatten. Wenn Tanja Breuer mit ihrem Papa geschmust hatte, war Saskia oft richtig eifersüchtig geworden.
    Doch in diesem Punkt musste Max sie enttäuschen. «In der Samenbank weiß kein Mensch, wer der Spender von welchem Kind ist. Das ist alles anonym, geheim, verstehst du. Das hätte keinen Zweck, dahin zu fahren.»
    Bis dahin hatte Saskia ihm jedes Wort geglaubt, aber das glaubte sie nicht so unbesehen. Sie nahm vielmehr an, Max habe keine Lust, für sein Taschengeld teure Fahrkarten zu kaufen und mit ihr einen ganzen Tag in Bus und S-Bahn zu verplempern, weil die Samenbank weit weg war. Doch als sie Oma fragte, ob die vielleicht mit ihr hinfahren könnte, gab es noch mehr Ärger als nach dem Streit von Tanja Breuers Eltern.
    Oma wollte ihrerseits wissen: «Wer erzählt dem Kind solche Sauereien? Samen in Röhrchen füllen und zur Bank bringen. Das saugt sie sich doch nicht aus den Fingern!»
    Weil Saskia den aufklärungsfreudigen Max nicht verpetzen wollte, saugte sie sich eine Fernsehsendung über Retortenbabys

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