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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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aus den Fingern und handelte sich damit eine volle Woche Fernsehverbot ein.
    Max half sie mit der Flunkerei nicht. Oma konnte sich denken, auf wessen Mist die blumige Schilderung vom Umtopfen der Babys gewachsen war. Max bekam eine volle Woche Hausarrest. Und Sascha, der überhaupt nichts getan hatte, wurde dazu verdonnert, seine Mathematikaufgaben dreimal neu zu machen. Dabei waren sie schon beim zweiten Mal alle richtig. Aber nicht sauber geschrieben, sagte Oma.
Herbst 2010
    Es waren sechzehn Monate vergangen, seit Saskia die Geschichte ihrer wundersamen Menschwerdung gehört hatte. Bei ihrer Tante und Ersatzmutter war die Blinddarm-Brutkasten-Story im täglichen Stress längst wieder untergegangen. Ihr Cousin dachte auch nicht mehr an Samenbank und Retorten. Nur Saskia hatte kein Wort vergessen.
    Und Silvie Steffens, der einzige Mensch in ganz Garsdorf, mit dem ein kleines Mädchen ein Gespräch von Frau zu Frau führen konnte, ohne ausgelacht oder mit dem Hinweis «Das erfährst du noch früh genug» abgespeist zu werden, hatte die gute Absicht von Max erkannt und untermauert.
    An einem frostigen, aber sonnigen Tag im Januar hatte Silvie ihren mit sechs Monaten immer noch winzigen David warm eingepackt und in den Kinderwagen gelegt. Dann war sie mit ihm ins Dorf gefahren. Sie hatte auch der Bäckerei Jentsch einen Besuch abgestattet – war immerhin Familie, davon hatte Silvie nun wirklich nicht viel.
    Als alle um den Kinderwagen herumstanden und sich vor lauter Entzücken nicht zu lassen wussten, ergriff Saskia die Gelegenheit beim Schopf. Sie zog Silvie ein Stückchen zur Seite und erzählte ihr unter vier Augen, was Max zum Besten gegeben hatte. Und Silvie bestätigte, dass es absolut zwecklos sei, zur Samenbank zu fahren, um einen bestimmten Spender zu finden.
    «Wir waren da», behauptete Silvie. «Weil wir für David später gerne ein Schwesterchen vom selben Spender hätten, haben wir ihnen viel Geld geboten, wenn sie uns seinen Namen verraten. Aber da war nichts zu machen. Das ist so was von anonym, Saskia, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Das ist geheimer als ein Staatsgeheimnis. Nicht mal ein General könnte dort etwas in Erfahrung bringen. Deshalb überlegen wir jetzt, ob wir es demnächst mal auf die normale Weise probieren. Dann müsste ich eben eine Weile mit einem dicken Bauch herumlaufen. Das ist zwar unbequem, aber auch billiger als ein Retortenkind.»
    Wegen dieser Behauptung hielt Saskia es zu Anfang für völlig ausgeschlossen, dass der ihr unbekannte Mann in dem dunkelgrünen Passat Kombi tatsächlich ihr Samenspender sein sollte. So gerne sie den kennengelernt und vielleicht mal mit ihm geschmust hätte – später, wenn man sich länger und besser kannte.
    Dass er ihr ein abgegriffenes Foto zeigte und sie damit neben die Fahrertür mit der heruntergelassenen Scheibe lockte, bewies gar nichts. Da mochte er noch tausendmal sagen: «Schau, Süße, das bist du. Da warst du drei Tage alt.»
    Auf dem Foto war nichts von einem Brutkasten zu sehen, nur ein Baby mit verschrumpeltem Gesicht, das ein Mützchen trug und mit einem Handtuch zugedeckt war. Und auf dem Tuch lag eine große Hand.
    «Weißt du, wo du da liegst?», fragte er.
    Als Saskia den Kopf schüttelte, sagte er: «Auf meiner Brust. Das kann man leider auf dem Bild nicht erkennen.»
    Das konnte man tatsächlich nicht. Aber David war oft aus seinem Kasten genommen, Silvie auf die Brust gelegt und mit einem Tuch zugedeckt worden. Ein Mützchen hatte er bei solchen Gelegenheiten auch immer getragen. Das wusste Saskia nicht bloß aus Erzählungen, Franziska hatte auch Aufnahmen davon im Laden gezeigt – mit leuchtenden Augen. «Guck, Martha, wie er sich macht. Er hat sein Gewicht schon fast verdoppelt.»
    Und trotzdem hatte er noch ganz mager und runzlig ausgesehen. Vielleicht war das auf dem Foto der kleine David, der so klein längst nicht mehr war. Hässlich war er mit seinen sechzehn Monaten auch nicht mehr, nur viel zu dünn, erklärte Silvie immer.
    Der Mann mochte das Foto im Auto gefunden haben. Nun, wo Saskia den Innenraum des Kombis einsehen konnte, war sie mehr denn je überzeugt, einen bösen Mann vor sich zu haben. Vielleicht keinen von der ganz üblen Sorte, die einem Kind etwas Schreckliches antun und es danach totmachen wollten. So einer hätte vermutlich nicht lange gefackelt, sondern sie ins Auto gezerrt, sobald sie in Griffnähe gekommen wäre. Aber ein Dieb war er ganz bestimmt.
    Der Passat gehörte Silvie.

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