Die Schuldlosen (German Edition)
reinkam, kam man auch wieder raus.
Die Parkhilfe, die ihn zuvor schon ganz konfus gemacht hatte, piepte mit unterschiedlichen Tönen erneut los. Er bemühte sich, das zu ignorieren, rangierte mehrfach in der Lücke vor und zurück, ehe er den Blinker setzte und darauf wartete, dass ihm jemand genug Platz ließ, um einzuscheren.
Ihn dabei zu stören wäre Saskia nie in den Sinn gekommen. Dafür hatte sie sich, wenn sie mittags mit zu Heikes Kaffeebüdchen genommen wurde, von ihrer Tante schon zu oft anhören müssen: «Jetzt sei mal still, ich muss aufpassen.»
Nachdem er sich endlich in den fließenden Verkehr eingereiht hatte, erwartete Saskia Unmengen von Fragen – ungefähr so viele, wie ihr selbst auf der Zunge brannten. Aber er stellte nicht eine, konzentrierte sich nun auf entgegenkommende Wagen, deren Fahrer oder Fahrerinnen den dunkelgrünen Kombi ebenso wie Saskia als Familienkutsche von Silvie und Lothar Steffens kannten und stutzig werden konnten, weil keiner von beiden am Steuer saß.
Schließlich hielt Saskia es nicht länger aus. Den Tammi-Bären gegen ihren Anorak gepresst, den irgendwie beruhigenden Duft von Waschpulver in der Nase, fragte sie: «Bist du wirklich mein Spender?»
«Spender?», wiederholte er in einem Ton, der deutlich zum Ausdruck brachte, dass er mit dem Begriff nicht viel anzufangen wusste. Aber Saskia war zu sehr mit den eigenen Empfindungen beschäftigt, als dass es ihr aufgefallen wäre. «Können wir uns darauf einigen, dass du Papa zu mir sagst», schlug er vor. «Das klingt nicht so bescheuert, wenn uns jemand hört.»
«Ich weiß nicht», meinte Saskia unsicher. Wer sollte sie denn hören? Sie waren doch allein im Auto. «Ich sag zu keinem Papa, auch nicht zu Onkel Wolfgang.»
«Logisch», kommentierte Alex. «Warum sollst du zu deinem Onkel Papa sagen?»
«Er ist ja nicht mein richtiger Onkel», erklärte Saskia ihm ihre Sicht der Verhältnisse. «Er ist schon irgendwie mein Papa. Nur nicht so, wie er der Papa von Max und Sascha ist. Mehr so, wie Lothar der Papa von David ist. Verstehst du?»
«Nein», sagte er. «Tut mir leid, Süße, das verstehe ich nicht. Willst du damit andeuten, Lothar wäre nicht Davids richtiger Vater?»
Das wollte Saskia nicht bloß andeuten, dessen war sie sich vollkommen sicher. Sie nickte eifrig, was er im Innenspiegel sah. «Und – eh – wen hast du da im Verdacht?», erkundigte er sich.
Wie die Frage gemeint war, verstand Saskia nicht. Er musste etwas deutlicher formulieren, ehe die Antwort kam: «Das war auch ein geheimer Spender aus der Samenbank.»
«Wow», sagte er. «Das ist ja ein Hammer. Woher weißt du das?»
«Von Silvie.»
«Logisch», kommentierte er wieder. «Von wem sonst.» Um gleich anschließend mit fassungslosem Unterton zu fragen: «So was erzählt die dir? Das ist wirklich ein Hammer. Hat Silvie dir noch mehr verraten? Keine Sorge, von mir erfährt niemand ein Sterbenswort. Ich wüsste nur gerne, wie viel du weißt.»
Also erzählte Saskia ihm, was sie von ihrem älteren Cousin über die Entstehung besonders teurer Kinder erfahren hatte. Sie begann bei den Röhrchen mit Samen und den Glasschalen, in denen die Babys wie Blümchen heranwuchsen. Sie versäumte auch nicht zu betonen, dass Max diesen Teil der Aufklärung übernommen und Silvie es im Januar nur bestätigt hatte. Er sollte nicht glauben, Silvie könne keine Geheimnisse für sich behalten.
Beim Umtopfen in den Brutkasten begannen über der Rückenlehne des Fahrersitzes seine Schultern zu zucken. Als Saskia zu Heikes Blinddarmentzündung und der Entdeckung eines niedlichen Babys im Glaskasten kam, das Heike aus zeitlichen Gründen nicht selbst behalten konnte, gab er merkwürdig glucksende und prustende Töne von sich, und seine Schultern zuckten dermaßen, dass er das Lenkrad verriss. Viel fehlte nicht, und er hätte einen entgegenkommenden Lieferwagen gerammt.
Er erschrak mehr als Saskia über den Schlenker, stieß einen Fluch aus und lenkte den Passat an den Straßenrand vor die Gärtnerei Wilms.
Nachdem er den Wagen angehalten hatte, wischte er sich mit einem Handrücken über Augen und Wangen, als hätte er Tränen gelacht oder geweint. «Entschuldige, Süße», sagte er, noch etwas kurzatmig. «Hoffentlich hab ich dich nicht zu sehr erschreckt. Aber ich hatte nicht erwartet, dass du schon so gut Bescheid weißt.»
Sie standen noch etwa zehn Meter von der Einmündung zum Jumperzweg entfernt. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte sieben Minuten
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