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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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der Susi spielen. Ich habe ein Kleid an und bin Alexa. Bei dir bin ich kein Mann.»
    «Und bei Janice bist du einer?», fragte Silvie. «Willst du mich verarschen? Sie hat dich doch garantiert öfter in einem Kleid gesehen als ich.»
    «Sie will ja nur vögeln», sagte er, ging zu seinem Audi und fuhr davon.
    Danach blieb er eine Weile solo, gabelte vielleicht in Kölner Diskotheken wieder Schnecken für eine schnelle Nummer auf. Davon erfuhr Silvie nichts, weil Lothar es ihr nicht sagen wollte. Lothar fuhr fast immer mit ihm, aber wenn Silvie ihn fragte, was Alex denn den ganzen Abend gemacht habe, hieß es: «Was interessiert dich das denn noch?»
    Das wusste Silvie nicht genau. Vielleicht ging es darum, sich den Stachel noch tiefer ins eigene Fleisch zu treiben. Vielleicht hoffte sie aber auch, Alex hinge nur trübsinnig an irgendwelchen Tresen herum und trauere wie sie um die ganz große Liebe.
    Sie hätte natürlich Janice fragen können, ob er immer noch Steinchen ans Fenster warf, doch das verbot ihr Stolz. Und von sich aus erzählte die Dorfmatratze nichts mehr. Es hatte den Anschein, als sei es ihr nur darum gegangen, Silvies Traum von ewiger Liebe wie eine Seifenblase platzen zu lassen.
Herbst 2010
    Auch am Dienstagmorgen hielt Heike Jentsch die Augen offen. Und um zwanzig nach vier in der Früh hatte die Tiefgarage rein gar nichts von einem sicheren Ort. Es stank nach Abgasen, war kalt und feucht, die Beleuchtung war schlecht. Und außer ihr schien keine Menschenseele auf den Beinen zu sein.
    Der Eindruck verstärkte sich noch, als sie die Rampe hinauf ins Freie fuhr. Es nieselte nicht bloß wie am Montag, heute goss es in Strömen. Hinzu kam ein böiger Wind, eher ein Sturm, der die Wassermassen intervallartig gegen die Frontscheibe peitschte. Was da herunterkam, hatte Ähnlichkeit mit der Sintflut. Als habe der Himmel sich entschlossen, noch einmal sämtliche Schleusen zu öffnen und alle Sünder fortzuspülen – speziell solche, die unschuldigen Kindlein das Recht auf Leben absprachen. Die Scheibenwischer kämpften so vergebens wie Don Quijote gegen Windmühlen.
    Auf freier Strecke wurde es noch schlimmer. Und zu so früher Stunde war die Landstraße nach Garsdorf eine vollkommen freie Strecke, auf der soeben die Welt unterging. Der Sturm schlug nach dem Honda, als wolle er ihn von der Straße boxen. Heike hatte Mühe, die Spur zu halten, und konnte keine zehn Meter weit sehen.
    In der Kurve beim Tümpel, wo vor fünfzehn Jahren ein Gebrauchtwagenhändler mit seinem Kopf dafür bezahlt hatte, Alex ein nicht verkehrstaugliches Fahrzeug andrehen zu wollen, hatte sich eine riesige Pfütze, eher ein kleiner See, gebildet. Der Honda fuhr nicht hindurch, er schwamm.
    Heike dachte unwillkürlich, hier wäre jetzt die beste Gelegenheit, sie für ihre Aussage bluten zu lassen. Ein Auto, das unbeleuchtet am Straßenrand hinter der Kurve stand und plötzlich die Scheinwerfer aufleuchten ließ. Fernlicht! Sie würde geblendet die Augen schließen und vollends die Kontrolle über den Honda verlieren.
    Es passierte nichts. Aber sie musste auf dem Rückweg schließlich noch einmal durch diesen See. Von Natur aus war Heike Jentsch kein phantasiebegabter Mensch, doch an dem Dienstagmorgen wuchsen ihrer Vorstellungskraft Drachenflügel.
    Aber wie tags zuvor bei ihrer Schwägerin verlor sie in der Backstube auch bei ihrem Bruder kein Wort über Alex, ihre Ängste und Befürchtungen. Sie nahm von Wolfgang den gefüllten Brötchenkorb in Empfang, schützte ihn notdürftig mit einem leeren Mehlsack vor der Sintflut und hastete zurück zum Auto.
    Auf der Rückfahrt war sie so wach wie noch nie um diese Tageszeit. Sie fühlte sich wie unter Strom gesetzt, als sie den Wagen endlich hinterm Blockhaus anhielt und die Brötchen mit Riesenschritten über die Veranda durch die Hintertür ins Trockene schaffte. Nachdem sie wieder abgeschlossen, die Beleuchtung und die Kaffeemaschine eingeschaltet hatte, kämpfte sie mit sich, ob sie die Vordertür gleich aufschließen sollte, wie sie es sonst immer tat.
    Aber um die frühe Stunde ganz allein im Hellen stehen, und draußen tobte in spärlich erleuchteter Nacht ein Unwetter, da schien eine offene Tür wie die Einladung für den Leibhaftigen. Der erleuchtete Innenraum mochte kein idealer Platz sein, um Rache zu nehmen. Aber wie viel Zeit brauchte man denn, um rasch hineinzuhuschen, einer einsamen Frau ein Messer zwischen die Rippen zu schieben und wieder zu verschwinden? Heike wartete

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