Die Schuldlosen (German Edition)
hatte Gottfried gesehen, aber nicht mit ihm reden können, weil Gottfried nicht bei Bewusstsein gewesen war. Ob er nur schlief oder in ein künstliches Koma versetzt worden war, hatte Lothar nicht sagen können. Silvie wollte am Nachmittag persönlich hin, wenn ihr Mann daheim war und sich um David kümmern konnte.
«Vorher hab ich ja kein Auto. Oma nimmt den Bus. Sie rief an, ehe sie aus dem Haus ging.» In dem Zusammenhang fiel ihr das Handy wieder ein. Sie zog es aus der Jackentasche und legte es zu den Keksschachteln auf die Anrichte.
«Du kannst es behalten», sagte Alex. «Ich hab mir ein anderes gekauft, weil Frau Doktor darauf bestand, dass ich telefonisch erreichbar bin.»
«Nimm es trotzdem zurück», bat Silvie. «Sonst muss ich es wegwerfen, das wäre schade. Lothar glaubt, die Nachtschwester hätte mir ihres geliehen. Dabei möchte ich es belassen.»
«Wieso?», fragte Alex und grinste noch einmal. «Er ist nicht eifersüchtig auf mich. Das war er nie, hat er zumindest am Dienstag behauptet. Er hat doch alle bekommen, die ich hatte.»
«Wo hast du ihn denn am Dienstag gesehen?», fragte Silvie mit erneut gerunzelter Stirn.
Ihm wurde bewusst, dass er sich zum zweiten Mal verplappert hatte. Glücklicherweise hatte er keine Zeitangabe gemacht. «Nach Mittag an der S-Bahn», versuchte er, den Patzer auszubügeln. «Ich war auf dem Weg nach Köln, er kam wohl von der Arbeit.»
«An der S-Bahn», wiederholte sie.
Und er fühlte sich sekundenlang wie im Polizeiverhör. Die hatten auch alles wiederholt, was er von sich gab. «Sie haben keine Ahnung … Sie können sich nicht erinnern … wie praktisch.»
«Hat er dich angesprochen oder du ihn?», wollte Silvie wissen.
«Weder – noch», sagte er und fügte sicherheitshalber hinzu: «Ich glaube, er hat mich gar nicht gesehen.»
«Wem hat er denn erzählt, er hätte alle bekommen?»
«Keine Ahnung. Ich kannte den Typ nicht, hab’s nur im Vorbeilaufen aufgeschnappt. Ich musste mich sputen, um meine Bahn zu erreichen.»
«Im Vorbeilaufen», wiederholte Silvie.
Und er wusste genau, dass sie keine Ruhe geben würde, bis sie zufriedenstellende Auskünfte bekommen hatte. Ihre Hartnäckigkeit war ihm schon früher oft auf den Geist gegangen. Wenn sie irgendwo einen Widerspruch witterte oder ihr etwas nicht auf Anhieb einleuchtete, schrubbte sie so lange daran herum, bis die letzte Unklarheit beseitigt war. Nur bei der Sache mit Janice war ihr das nicht gelungen.
«Warum kannst du mit der, aber mit mir nicht?»
Damals hätte er das selbst gerne gewusst. Heute könnte er es ihr wahrscheinlich erklären. Wegen zu großer Gefühle. Sie war für ihn zu gut und er für sie nicht gut genug gewesen. Aber wozu das jetzt noch aussprechen? Jetzt hatte sie den vernünftigen Lothar, Prinz Knatschsack und eine Prinzessin, die sich in ihr ganz schön breitmachte. Und er hatte nur eine große alte Villa voller Gespenster und ein kleines Mädchen, das sich auf den Nachmittag mit ihm in diesem Geisterhaus freute. Wie lange wohl noch?
«Sei mir nicht böse, wenn ich das Verhör jetzt abbreche», sagte er. «Es ist fast Mittag, ich hab noch einiges zu erledigen.»
«Ich gehe erst, wenn ich weiß, bei wem Lothar damit geprahlt hat, dass er hinter dir über die Weiber gestiegen ist», beharrte Silvie – vulgär, wie er fand. «So was bindet man keinem auf die Nase, mit dem man nur zufällig aus der Bahn steigt. Es müsste ein guter Bekannter von Lothar gewesen sein. Beschreib den Typ mal. Ich kenne so ziemlich alle, mit denen er häufiger zu tun hat.»
«Ich aber nicht», sagte Alex. «Und ich hab die beiden nur von hinten gesehen.»
«Wie hast du denn das angestellt?» Silvie wurde ebenso sarkastisch wie die Beamten, die ihn stundenlang vernommen hatten. «Lothar und der große Unbekannte kamen doch wohl von Gleis 3, du wolltest zu Gleis 1. Da müssten sie dir theoretisch hinter der Unterführung entgegengekommen sein.»
«Der Taxifahrer hat mich auf dem Parkplatz aussteigen lassen», strickte er eilig eine plausible Erklärung für den Widerspruch zusammen. «Lothar und der Typ waren bereits auf dem Weg zu ihren Autos. Und ich musste mich sputen, weil meine Bahn schon einfuhr.»
«Und trotzdem hast du im Vorbeilaufen genau verstanden, was mein Mann sagte. Hat er wirklich gesagt, alle?»
«Ja.» Er stellte Geschirr auf den Tisch und füllte die Tassen.
Doch Silvie war die Lust auf Kaffee vergangen. Sie schnappte sich den Buggy, schob ihn in die Eingangshalle
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