Die Schule der Nacht
stirnrunzelnd um. »Warum gehen wir nicht einfach nach oben in die Designerabteilung und…«
»Nein, Mum«, unterbrach April sie. »Wir können uns keine teuren Sachen mehr leisten, schon vergessen?«
»Wie könnte ich?« Silvia griff seufzend nach einem rosa Minikleid und sah ihre Tochter hoffnungsvoll an.
April schüttelte frustriert den Kopf. » Schwarz , Mum.«
»Aber in schwarzen Sachen siehst du immer so blass aus, Liebes.«
»Es ist eine Halloweenparty, da ist ein blasser Teint quasi die Eintrittskarte.«
Widerstrebend hängte Silvia das Kleid zurück und sah sich weiter um. »Ah! Da haben wir doch schon genau das Richtige – es entspricht deinen strengen Vorgaben und ist außerdem noch heruntergesetzt.«
Schwungvoll nahm sie ein Kleid von einem Ständer und hielt es April hin. Es war nachtschwarz, schimmerte seidig und sah extrem teuer aus.
»Okay, ich kann es ja mal anprobieren«, sagte April zögernd, obwohl sie auf den ersten Blick erkannte, dass das Kleid perfekt war. Ein paar Minuten später stand sie vor dem Spiegel in der Umkleidekabine und betrachtete sich zufrieden. Es war ein schlichtes kleines Schwarzes, genauso wie sie es sich vorgestellt hatte – relativ hochgeschlossen endete es knapp über dem Knie und war zeitlos, ohne altbacken, und sexy, ohne geschmacklos zu sein. Wenn sie sich jetzt noch die Haare hochsteckte und sich ein bisschen gothicmäßig schminkte, würde sie ziemlich cool aussehen. Ihre Mutter hatte ihr tatsächlich ein Traumkleid ausgesucht. Nicht, dass sie ihr das auf die Nase binden würde.
»Du siehst entzückend aus.« Silvia spähte durch den Vorhang. »Die Jungs werden sich um dich reißen.«
»Mum!«, stöhnte April, aber Silvia kicherte.
»Okay, mein schüchternes kleines Mäuschen«, sagte sie und griff nach Aprils Hand. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht auch noch ein paar todschicke Schuhe für dich finden.«
Mit Tüten und Taschen beladen, kletterte April in ein Taxi.
»Ich verstehe nicht, warum wir unbedingt mit dem Taxi fahren müssen«, brummte sie, als sie sich auf die Rückbank fallen ließ. »Bis zur nächsten U-Bahn-Station sind es gerade mal zwei Minuten zu Fuß.« Sie war zwar nicht unbedingt scharf darauf gewesen, sich mit ihren Einkäufen durch die volle Stadt zu kämpfen, zumal es auch noch angefangen hatte zu regnen, aber die Sorglosigkeit, mit der ihre Mutter das Geld zum Fenster rauswarf, während ihr Vater sich abstrampelte, um seine Familie durchzubringen, ärgerte sie.
»Meine Füße tun so weh – ich kann keinen Schritt mehr gehen«, stöhnte Silvia, zog einen Schuh aus und massierte sich die Zehen, während das Taxi sich langsam in den Rushhour-Verkehr einfädelte. »Außerdem wollte ich mich in Ruhe mit dir unterhalten.«
April verdrehte die Augen. Nicht schon wieder die alte »Lass die Finger von Drogen und pass auf, dass du nicht schwanger wirst«-Predigt, die sie jedes Mal über sich ergehen lassen musste, wenn sie auf eine Party ging oder sich mit einem Jungen traf. Was genau genommen nicht so wahnsinnig häufig der Fall war. Sie fand es immer unerträglich peinlich, sich mit ihrer Mutter über »Kondome« oder »Kiffen« unterhalten zu müssen, aber heute war der Zeitpunkt besonders ungünstig. Nachdem sie das Traumkleid gefunden hatten, hatte der Tag überraschend viel Spaß gemacht, und April hatte keine Lust, sich die Stimmung durch peinliche Aufklärungsgespräche ruinieren zu lassen. Nach dem Einkauf bei Selfridges hatten sie sich bei Nails Inc. eine Maniküre und eine Pediküre gegönnt, anschließend bei Carluccios zu Mittag gegessen – wo es den köstlichsten Waldpilz-Risotto gab, den April je gegessen hatte – und danach jedes einzelne Geschäft zwischen Marble Arch und Piccadilly durchstöbert. Für April war es am schönsten gewesen, dass sie ihre Mutter endlich mal wieder ausgelassen und fröhlich erlebt hatte – wenn auch das schlechte Gewissen an ihr nagte, weil sie so viel Geld ausgegeben hatten. Jedenfalls konnte sie jetzt gut auf ein intimes Mutter-Tochter-Gespräch verzichten, zumal ihr Miss Holdens Standpauke von gestern immer noch in den Knochen saß. Ich ertrage keine wohlmeinenden Erwachsenen mehr, die glauben, mich vor Fehlern bewahren zu müssen .
»Weißt du, Schatz, du bist inzwischen sechzehn und…«
»Mum, bitte. Ich bin alt genug, um…«, protestierte April, aber Silvia ließ sie nicht ausreden.
»Ich weiß, genau deswegen will ich ja auch mit dir sprechen. Du hast zweifellos
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