Die Schule der Nackten
einer Art Entwicklung begriffen. Meine ersten Schritte als Säugling hatte ich auf dem Freigelände absolviert, ich war herangewachsen, hatte mir sogar etwas Farbe zugelegt, fühlte mich eine Woche nach meinem Sonnenbrand körperlich wohl, locker und gut eingeölt. Warum sollte ich nicht allmählich einen Platz unter den Erwachsenen einnehmen - in den vorderen Reihen am Pool, dort wo es zählt. Und schneide hiermit ein ganz wichtiges Kapitel im Badebetrieb an: Das der Territorien.
An diesem Morgen war ich ganz früh, früher als sonst, um halb neun eingetroffen, als wie zu erwarten noch genügend Plätze am Pool zur Verfügung standen, und machte mich kurz entschlossen mit einem neuen dicken Tuch auf dem Beton breit. Ja, ic h hatte mir tagszuvor ein extradickes Badetuch gekauft, damit ich nicht zu hart lag. Und wenn ich sage Beton, dann stimmte das nicht ganz, es lief ein zwei Meter breiter, mit weißem gummiartigem Kunststoff beschichteter Streifen um das Becken herum.
Ein le ichter Wind wehte, der Geruch von Sonnenmilch. Hier an der «blauen Küste» herrschte reges, wenn ich so sagen darf, fast maritimes Leben, ein Ozeangefühl in der Morgenbrise. Ja, wenn man wollte, dann sah die jenseitige blaue Linie des Pools einer Kimme zum Verwechseln ähnlich. Junge hübsche Schnellsegler gingen dort flink vor Anker, solange noch Platz war, stromlinienförmige Fregatten segelten herein, hochblondiert und sorgfältig gebräunt. Es kamen Lastensegler und absolute Schlachtschiffe, männlichen wie weiblichen Geschlechts, aber meist männlichen, dröhnend und humorvoll auf bayerisch. Aber es traf auch eine feindliche Schallupe ein, wie sie eigentlich nur sonntags auftauchte, erkennbar am schneeweißen Hinterteil - wir hegen dafür nur Verachtung, unlautere Kunden nennen wir sie. Wer weiß, was er hier suchte (noch dazu in der ersten Reihe).
Langsam füllte sich das Gelände, und es war interessant anzusehen, wie die Bereiche abgesteckt wurden. Manche belegten gleich zwei, drei Positionen, manche sogar an mehreren Orten am Pool zugleich, und da war es dann interessant, wie sie den in der Morgenbrise davonstrebenden Badetüchern hinterherhüpften - eines schwamm bereits als pinkfarbene Qualle im Wasser.
Den Platz rechts neben mir behauptete eine Dame auf einem dunkelroten, mit übergroßen Trompeten dekorierten Badetuch. War mir sofort aufgefallen. Das Tuch. Mein Abstand zu ihr, beziehungsweise zu ihrem Tuch betrug etwa anderthalb Tuchbreite, was als ideal anzusehen war, jedenfalls für die vordere Reihe -der geduldete Mindestabstand beträgt eine ganze Tuchbreite, sechzig Zentimeter -, zu meinem linken Nachbarn waren es sogar zwei. Ich spreche hier natürlich nicht von Vorschriften, sondern von der Duldung, diese Erfahrung wird der Neuling sehr bald machen. Vielleicht kulturell bedingt, eine nicht ganz erklärbare Übereinkunft, denn drüben bei den Angezogenen konnte ein Mindestabstand weit geringer sein, wie man bei großem Andrang gesehen hat. Hier allerdings auch.
Die Dame neben mir las ein Buch. Sie war schlank, gepflegt, nicht groß, nicht klein, soweit ich das im Liegen beurteilen konnte, mit einer braunen Haarfrisur versehen, einer Art Dutt in einer Netzhülle. Das Buch hieß…, sie hielt es in meiner Richtung etwas hochgeklappt… irgend etwas mit Bronsel oder Bronsol. Als ich diesen schnellen und spöttischen Blick wahrnahm, den mir die Dame zuwarf. Wahrscheinlich, weil ich meinen Kopf zu deutlich in die Buchebene gebracht hatte, was man eben nicht tut: Man liest nicht anderer Leute Lektüre, nackt schon gar nicht. Danach konnte ich aber keinen weiteren diesbezüglichen Spott mehr verzeichnen.
Bis, ja bis dieser Mensch kam und sich neben mich legte. Links neben mich. Ich erwähnte bereits, daß ich da links zwei Tuchbreiten Abstand innehielt, was automatisch bedeutete, daß sich nach bestehendem Recht niemand mehr dazwischenlegen konnte, und nun kam dieser Mensch. Ich hatte gar nichts gegen ihn, er tat mir auch nichts, lag nur da, ein stiller dösender Mensch, der hier nach einer erschöpfend heißen Woche nur seine Ruhe haben wollte. Aber er brachte eben sein fürchterlich weißes Hinterteil mit, und er hatte auch einen leichten Stockgeruch (nach der langen heißen Woche), der zu mir herüberkam. Ich stand auf.
Verletzte Gefühle oder nicht.
Stand auf, maß den Abstand und rückte mein Badetuch eine halbe Breite von ihm weg zur Dame hin, unter einem spöttischen, von unten zugesandten Blick, und dann noch eine
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