Die Schule der Nackten
ovalen goldgefaßten Brillengläsern und einer Zeitung unter dem Arm. Nicht ganz klar war mir, was ihn auf das Nacktgelände verschlagen hatte, doch bewegte er sich mit gebührender Sicherheit, so als ob es sich durchaus mit seiner Position vertrug. Er war gut mittelgroß, aber zart, und er hatte ein bemerkenswert kleines Geschlechtsorgan, das wie ein Puppenkännchen aussah, von einem spärlichen Kranz offenbar noch nie geschnittener blonder Haare umgeben. Jedenfalls schien man mit ihm ein Wort reden zu können.
«Der Mann ist ein benachteiligtes Wesen», erklärte ich, «insbesondere auf dem Freigelände, entschieden benachteiligt sogar, da er seine Gefühle offen zur Schau trägt. Tragen muß! Wie Sie zugeben werden, entschuldigen Sie, wenn ich so persönlich werde. Er muß sein Innerstes, seine Potenz, seine Existenz auf geradezu sträfliche Weise vor sich hertragen – – – für jedermann ersichtlich.»
Hier legte ich eine wirkungsvolle Pause ein.
«Womit ich eben seine Existenz meine, um mich ganz klar auszudrücken, die jetzige, hiesige, die augenblickliche, die hier stattfindet: Der Mann hat einen Ständer!»
Wenn Sie wissen, was ich meine. Wieder eine Pause.
«Der Mann spielt mit offenen Karten! Im Poker der Geschlechter dem anderen Geschlecht völlig preisgegeben! Und dieses, das andere, wie lohnt es die Offenheit? Es gibt nichts preis! Keinen Fatz, nicht wahr, kein Nichts, kein Garnichts, hält sich schnippisch bedeckt, so daß man wirklich nicht weiß, ob die Dame überhaupt anwesend ist. - Dagegen unsereiner, herrje…«
«Unsereiner», nickte der nette Herr.
«… ist dem Zugriff voll ausgeliefert. Sehen Sie sich doch das einmal an», ich wies auf eine in diesem Moment vorübergehende durchaus nicht üppige, eher magere Dame, die aber über einen extrem großen Venushügel verfügte, so extrem, daß er wie eine eigenständige Kugel aufsaß, «ja, fast wie eine Kampfansage», stellte ich fest, «was aber bewirkt es bei Ihnen, mein Herr, und zwar jetzt, in diesem Augenblick. Sagen Sie es mir!»
Er blickte an sich herunter. Wir blickten beide an uns herunter.
«Sehen Sie», sagte ich, «das ist die Misere, unsereiner kann nichts verbergen, keine Neigung, keine Abneigung, ich meine, Sie sind doch ein gebildeter Mensch, mit Ihnen kann man doch über so etwas reden: Es ist wie ein Krieg, der mit ungleichen Waffen ausgetragen wird.»
So lange, bis die Dame mit ihrem Venushügel in der Menge verschwunden war.
«Aber kehren wir doch zu unserem Gegenstand zurück,» sagte ich, «wir wollen uns nichts vormachen, es gibt ja auch die umgekehrte Situation, die auch noch eintreten kann, so daß man sich wiederum in der genauen Gegenrichtung schämen müßte. Nehmen wir an, Sie steigen stolz aus dem Pool, Sie sind wie ein Held geschwommen, das Wasser perlt ab, Sie machen eine gute Figur, strecken sich, recken sich – – und da ist er Ihnen zusammengeschnurrt: Nur noch ein Häpfelchen, eine kleine Nuß, das Wasser war zu kalt.»
Nun war das vielleicht kein Thema für den Herrn mit dem Gießkännchen, aber ich war nun mal in Schwung und nicht so leicht zu bremsen.
«Es mag ja nicht nur das Wasser sein, das zu kalt ist», rief ich aus, «es gibt ja auch andere Pleiten, die auch verdammt abkühlen, nicht wahr, schlechte Börsengänge, Ärger mit Lieselotte (wer ist Lieselotte), vorübergehende Unpäßlichkeiten, oder denken Sie an den Erfolgsdruck. Allein der Gedanke, daß eine Schrumpfung stattfinden könnte, kann eine Schrumpfung bewirken. Der bloße Gedanke allein.»
Und was soll ich sagen, als wir an uns herunterblickten, war uns «der bloße Gedanke allein» tatsächlich ein wenig aufs Genital geschlagen. Auch kamen gerade in diesem Augenblick zwei stolze hochgewachsene Männer vorüber. Beide im Verein ihre privaten Teile schwingend, im Gleichschritt, beide in den frühen Dreißigern und sehr gut aussehend. Woraufhin wir, mein Nachbar und ic h, längere Zeit schwiegen.
«Sind Sie Historiker?»
«Ich bin Althistoriker», erklärte ich, «oder Frühhistoriker, wenn Sie so wollen, Spezialgebiet vorderasiatische Frühkulturen.» Im allgemeinen vermeide ich es, von Titeln Gebrauch zu machen, aber er hatte ja danach gefragt: Iranologe, Sumerologe, Ishtarologe, Indologe, Tantrologe - aber kein Archäologe, wenn er das meinte, ich hantiere nicht mit Pinsel und Bürste, ich grabe nichts aus.
«Das erklärt es», sagte er.
3
Vielleicht, daß es wirklich einiges erklärte:
Ich betrachtete mich selbst in
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