Die Schule der Nackten
unsicher, und daß ich dann Historiker wurde, geschah auch nicht ganz ohne ihre Mißbilligung - da ebenfalls mit unsicherer Existenz verbunden. Insbesondere, wenn sich der Historiker hartnäckig jeder Lehrtätigkeit fernhält und in obskure phönizischindisch-persisch-hellenistische Gefilde abtaucht! Ich darf aber sagen, daß mein Name Leuten in Fachkreisen nicht unbekannt ist. Ich veröffentliche in der «Philologie», im «Mundus», sogar im «Time Life» und im «Historical Digest». Mein Aramäisch ist nicht das beste, gebe ich zu, doch glaube ich, daß ich der einzige bin in Oberbayern, der es spricht. Jedenfalls erhebe ich keinen großen Anspruch, wie etwa mein lieber Widersacher Professor Homme, der sich für wer weiß wie kompetent hält. Na ja, Einzelheiten.
Ich habe mir mit meinen sechzig Jahren eine Schale zugelegt, in der ich mich wohl fühle - obwohl ich allenfalls Anfang fünfzig zugeben würde. Mein Haus, meine Bedürfnisse, die Art, wie ich mit Menschen umgehe, mein Beruf, meine Sammelobjekte sind alle Teil dieser Schale, die ich auf meine Weise stilisiert habe. Eben auch hinsichtlich meiner Lebensgefährtin Lisa, oder ehemaligen Lebensgefährtin, wie ich leider sagen muß. Diese elegante, vor allem gütig schöne Dame hatte eines Tages genug von mir und meiner Stilisierung und zog drei Häuser weiter, wo sie heute noch wohnt. Ja, ja, ich kenne noch ihren Namen, aber merkwürdigerweise sehe ich sie nicht mehr, es ist schon eine Weile her.
Eine kleine Arroganz, ich gebe es zu.
Was meine Moral angeht, hielt ich mich eigentlich immer für zeitgemäß intakt, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Politisch halte ich mich fern. Allenfalls zu Wahlzeiten rege ich mich regelmäßig auf, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, woraufhin ich unterschiedlich wähle. Eigentlich ohne Linie, das gebe ich auch noch zu.
Sitze da in meinem Haus in der Gudrunstraße und fühle mich auf fast unsoziale Weise wohl in dem großen Haus. Alle Räume sind moosgrün gehalten - ich liebe Moosgrün -, moosgrüne Teppichböden, moosgrüne Samttapeten, dazu ein geschwungenes Treppenhaus mit Mahagonigeländer. Sehr elegant. Dazu noch eine Zugehfrau, mehr Haushälterin als Zugehfrau, die aber nicht dort wohnt. Was will man mehr.
Kleiderschrank im ersten Stock. Warum ich den erwähne, weil er begehbar ist, sogar mit einem Sessel (moosgrün) ausgestattet, in dem ich sitze und in die Spiegel rundum hineinmeditiere. Da hängt eine blaßweiße Sommergarderobe, eine üppige Wintergarderobe, bis hin zu polartüchtigen Daunenmänteln, oktoberfarbene Tweedjackets hängen da und jeansfarbener Frühling, der mich zehn Jahre jünger macht, aber auch geeignet ist für Übersee und Hotels mit vier Sternen, sogar fünf Sternen. Das ist heutzutage so.
Meine Religion? Manchmal, zu, sagen wir, aufgeweichter Stunde, nehme ich mit Erstaunen wahr, in welch merkwürdig körperlicher Welt ich mich befinde. Ich meine, ich nehme die Merkwürdigkeit wahr, merkwürdig wirklich und dennoch vorübergehend. Meine wirklichen Hände, meine Knie nehme ich wahr. Und im Spiegel, o mein Gott, starrt mich ein vorübergehendes Gesicht an, ich weiß nicht, ob das eine Religion ist. Aber es ist meine.
Meine Sexbedürfnisse dagegen bewegen sich eher im eleganten Bereich, wahrscheinlich durch einige sehr frühe Erfahrungen geprägt. Zum Beispiel durch die wertvoll bestrumpften Beine der Damen, die sich bisweilen nachmittags in dem vorderen Salon zum Kaffee einfanden - meine Mutter führte ein offenes Haus, und es war damals noch graubeige. Da liebte ich es, von meiner maßstabgerechten Garage in der Ecke meine besten Mercedesmodelle unter den Kaffeetisch zu lenken, um dort die zimtfarbenen Strumpfbeine zu umfahren. Eine stille Erfahrung der besonderen Art.
Ich erinnere mich an Frau Manrau, die überkreuz ihre aufliegenden Waden wunderbar zur Geltung brachte und die ich zwei- oder dreimal unter dem Tisch streifte, das erstemal unbeabsichtigt. Herrgott, war die Frau gütig.
Ich erinnere mich, daß sie sich einmal hinter mich stellte, als ich aus dem Verandafenster sah. Es war dämmriger Nachmittag, und die anderen Damen hatten im Salon anscheinend eine Menge zu reden, so daß sich Frau Manrau ganz ruhig und lange Zeit hinter mich stellte. Da habe ich ihr Wohlwollen kennengelernt in Form von langen schmalen Gliedern, die, wie ich wußte, in hauchzarten Geweben steckten. Sie ließ sich von mir den Komposthaufen im Garten zeigen, wo ist er, dort, dort drüben,
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